Nestor Burma in der Klemme
ich dasselbe von
Monsier Jander nicht behaupten. Sein Gesicht war mir ungemein sympathisch. Um
so mehr, da er Pfeife rauchte. Unter Pfeifenrauchern herrscht so eine Art
Freimaurerei.
„Guten Tag, Monsieur“, begrüßte ich ihn.
„Entschuldigen Sie, daß ich störe, aber es ist sehr dringend. Es geht um Ihre
Mieterin in der Allée du Platane. Ich muß sie unbedingt sprechen. Sie ist nicht
zu Hause. Könnten Sie mir sagen, wo ich sie finden kann? Ich hab nämlich eine
Überraschung für sie... eine Erbschaftssache...“
„Mademoiselle Verbois hat geerbt?“ rief Monsieur
Jander.
„Ja, Monsieur, so etwa zwei Millionen. Ein
Verwandter mütterlicherseits ist 1940 gestorben, mitten in dem ganzen
Durcheinander... Seitdem sind wir auf der Suche nach der glücklichen Erbin. Sie
weiß noch gar nichts davon... Aber“, fügte ich lächelnd hinzu, „darf ich Sie
fragen, ob Mademoiselle Verbois vielleicht... äh... Mietschulden bei Ihnen
hat?“
Monsieur Jander warf mir einen vernichtend
entrüsteten Blick zu und hob abwehrend die Hand.
„Wo denken Sie hin, junger Mann? Sie ist seit
Anfang 1941 meine Mieterin, und sie hat ihre Miete stets pünktlich gezahlt! Ich
freue mich für sie, denn sie ist ein nettes Mädchen. Nur ein bißchen... Wie
soll ich sagen? Ein bißchen temperamentvoll ist sie. Verdammt unabhängig, wenn
Sie verstehen, was ich meine. Aber das ist kein Fehler.“
„Nein, doch das erleichtert unsere Aufgabe nicht
grade“, seufzte ich. „Wo, meinen Sie, kann ich sie heute finden, um ihr die
Neuigkeit mitzuteilen?“
Monsieur Jander ließ seine Hand aufs Knie
fallen. Die Katze schreckte aus dem Schlaf auf und sprang von seinem Schoß.
„Das weiß ich nicht“, sagte er, während er mir
aufs Kinn sah. „Manchmal ruft ihre Arbeit sie nach Paris. Aber wohin genau?
Keine Ahnung.“
„Ich hoffe, es handelt sich bei der gesuchten
Person tatsächlich um Mademoiselle Verbois“, sagte ich, so als kämen mir
plötzlich Zweifel. „Sie arbeitet doch in der Modebranche, nicht wahr?“
„Ganz richtig, in der Modebranche. Sie ist
Zeichnerin. Etwas Künstlerisches, aber seriös und gut bezahlt... Leider weiß
ich nicht, in welchem Hause sie beschäftigt ist.“
„Schade! Wir hätten ihr gerne so schnell wie
möglich die glückliche Nachricht überbracht. Ich werde ihr einen Brief in den
Briefkasten werfen. Bleibt mir nur noch, Ihnen zu danken, Monsieur.“
„Kein Ursache.“ Er zeigte auf mein Gesicht. „Sie
haben da aber eine sehr schöne Pfeife, junger Mann. Das wollte ich Ihnen schon
gleich am Anfang sagen. Ist das ein Ochsenkopf?“
„Ein Stierkopf“, verbesserte ich ihn. „Hab
sechzig Francs dafür bezahlt. Das war 1939. Heute kostet sie fünfhundert“,
prahlte ich.
„Alles wird teurer... Ist es eine gute Pfeife?
Etwas schwer, nicht wahr?“
„Überhaupt nicht. Sieht nur so aus.“
Monsieur war ein leidenschaftlicher
Pfeifensammler. Davon zeugte ein gut gefülltes Gestell auf einem Tischchen. Sah
aus wie’n kleiner Altar. Wir redeten eine Weile über Pfeifen und Tabak. Er war
ganz begeistert, daß mein Stierkopf so leicht war, und bewunderte ihn lange.
Bat mich sogar, die Pfeife zu stopfen. Ich tat ihm den Gefallen; allerdings
holte ich dafür eine weitere Pfeife hervor. Ich hab nämlich immer mehrere bei
mir. Das trug mir bei Monsieur Jander endgültig den Ruf eines richtigen
Pfeifenrauchers ein, „nicht so wie diese Angeber...“
Als ich mich von ihm verabschiedete, freute ich
mich über seine Komplimente und mehr noch über die Tatsache, daß ich den
richtigen Namen von Lydia „Daquin“ erfahren hatte.
Ich nahm den nächsten Zug nach Paris und war um
sechs Uhr in der Hauptstadt.
* * *
Zunächst ging ich nach Hause, um mich
umzuziehen. Die Flics hatten ein herrliches Durcheinander hinterlassen. Da ich
Rostflecken an meiner Hose entdeckt hatte, zog ich auch einen sauberen Anzug
an. Die Flecken ließen darauf schließen, daß man mich auf einer Art Schubkarre
zu der Stelle transportiert hatte, an der mich die Gendarmen dann später
gefunden hatten. Das wiederum legte den Schluß nahe, daß Mademoiselle Verbois
keinen Komplizen gehabt hatte.
Ich ging zur Agentur. Aus Hélènes Augen winkte
die blanke Neugier. Ich fragte sie, ob sie das Nötige veranlaßt habe, um die
Aufträge in Angriff zu nehmen. Reboul war der Meinung, die Arbeit nicht alleine
bewältigen zu können. Da er aber nicht wußte, wer ihm helfen könnte, hatte
Hélène eine Anzeige aufgegeben. Im Moment sei es
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