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Nestor Burma in der Klemme

Nestor Burma in der Klemme

Titel: Nestor Burma in der Klemme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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holen.
    Dann noch etwas: Vor noch nicht fünf Minuten
hatte ein Herr die Agentur verlassen. Chambot oder Chabrot hieß er, Hélène
hatte seinen Namen nicht richtig verstanden. Er sei sehr enttäuscht gewesen,
mich nicht anzutreffen. Über den Grund seines Besuches habe er nichts sagen
wollen. Im Laufe des Abends wolle er noch einmal vorbeikommen. Wie sah er aus?
Groß, kräftig, gut gekleidet. Wahrscheinlich noch ein betrogener Ehemann. Die
Auftragslage besserte sich zusehends!
    Ich drückte meine Zufriedenheit aus und sagte
Hélène, sie solle sich wegen der Herren von der Tour Pointue keine
Sorgen machen, ich käme heute abend vielleicht noch in die Agentur. Vielleicht
auch erst morgen früh, es komme ganz drauf an. Für alle Fälle schloß ich mit
einer Serie tiefempfundener Beleidigungen an die Adresse eines möglichen
Abhörers das Gespräch ab.
    Nachdem ich aufgelegt hatte, setzte ich mich in
einen ruhigen Winkel des Bistros und aß — ohne großen Appetit — eine
Kleinigkeit. Ich mußte an Lydia Daquin denken. Diesen Namen hatte sie mir nach
einem kurzen Blick auf die Zeitung in ihrer Hand genannt. Daquin! So hieß der
Regisseur des Film Wir, die Kleinen. Das Mädchen hatte sich kurzfristig
den Namen zugelegt, weil er so ähnlich klang wie Paquin. Der war ihr nämlich
aus der Modebranche geläufig. Vielleicht war es ja nicht ganz und gar — und
vielleicht überhaupt nicht — gelogen, daß sie als Mannequin arbeitete. Das
Mädchen gab mir einige Rätsel auf, sowohl in Bezug auf meine Gefühlswelt als
auch auf meine Welt als Privatflic. Ich kam nicht recht weiter. Die
Fragezeichen häuften sich, und mein Kopf fing an zu brummen. Ich hielt es für
besser, die Sache erst mal auf sich beruhen zu lassen.
    Vom Hotel ging ich zu Madame Gremet, dem
eigentlichen Ziel meiner Reise, die eine so eigenartige Wendung genommen ;
hatte. Wie vermutet, hatte ich mich gestern abend in der Dunkelheit verirrt.
Ich war an der Rue Jean-Jaurès vorbeigelaufen und in die nächste Straße
eingebogen, in die Allée du Platane. Bestimmt hieß sie so, weil gleich an der
Ecke eine Kastanie stand. Das Straßenbild wurde durch den Baum verdeckt.
    Die alte Dame war zu Hause. 32, rue Jean-Jaurès.
Ich brachte ihr die frohe Botschaft ihres Sohnes. Dann fragte ich sie auf gut
Glück, ob sie eine junge Frau (es folgte die genaue Beschrei-! bung) kenne, die
eine Straße weiter wohne. Nein, die kannte sie nicht. Ich verabschiedete mich
und ging zu dem Ort meines gestrigen Abenteuers.
    Die Villa gegenüber, in der Licht gebrannt
hatte, lag friedlich da wie ein Genesender. Die Fensterläden waren geschlossen,
das Gartentor ebenfalls. Aus dem Kamin kam keine einzige Rauchwolke.
    Nach ihrer nächtlichen Heldentat hatte sich die
temperamentvolle Lydia aus dem Staub gemacht. Das überraschte mich nicht. Ich
hatte es schon geahnt und mir deswegen auch Zeit gelassen, zum Tatort
zurückzukehren.
    Der Bewohner des Nachbarhauses glaubte sich
alleine weit und breit und nutzte das aus, um sein Akkordeon zu malträtieren.
Ich unterbrach das grausame Spiel durch energisches Klingeln an der Haustür.
Vorsichtig öffnete er ein Fenster und sah hinaus. Das Gesicht war weder jung
noch alt. Ein komisches Gesicht. Mit ängstlicher Stimme erkundigte sich der
Mann, was ich wolle. Ich fragte ihn nach dem Namen seiner Nachbarin. Er wußte
ihn nicht. Ersatzweise lieferte er mir Namen und Adresse des Hausbesitzers:
Armand Jander, 4, rue Albert-Blain.
    „Haben Sie gestern nacht nichts
Außergewöhnliches gehört?“ frage ich ihn.
    „Nein“, antwortete das komische Gesicht.
    „Doch!“ korrigierte ich ihn. „Das Zuschlägen von
Autotüren und das Geschimpfe eines Mannes.“
    Der Herr Nachbar schloß wortlos das Fenster,
nahm sein Instrument aber nicht wieder in die Hand. Ich hatte ihm den Schwung
genommen.
    Natürlich lag die Rue Albert-Blain am anderen
Ende von Bois-le-Roi. Das Gegenteil hätte mich überrascht. Monsieur Jander war
ein Mann von etwa fünfzig Jahren. Schamhaft verbarg er seine Halbglatze unter
einem Käppchen, wie man es nur noch auf der Titelseite von Liebesromanen sieht.
Eine Frau hatte mir die Tür geöffnet. Sah aus, als wär sie die ehemalige
Haushälterin und jetzige Ehefrau. Der Hausherr saß an einem hübschen
Kaminfeuerchen. In der Linken hielt er ein Buch, mit der Rechten kraulte er ein
junges Kätzchen, das in seinem Schoß schnurrte. Wenn der Akkordeonspieler ein
komisches Gesicht hatte, das mir gar nicht gefiel, so konnte

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