Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
»Dann wäre mir
bedeutend wohler. Und ich wäre deutlich weniger misstrauisch gegenüber den anderen
von der Truppe. Wenn mir nur jemand glauben würde. Du glaubst mir doch, Thomas?«
»Ja, natürlich«,
antwortete Korber geistesabwesend. »Trotzdem würde ich an deiner Stelle zur Polizei
gehen, wenn du dein ungutes Gefühl nicht loswirst.«
Statt zu
antworten, nahm sie ihn bei der Hand. »Komm«, forderte sie ihn auf. Sie liefen durch
den Regen, bis sie bei dem Haus angelangt waren, in dem Anette wohnte. »Warte«,
bat sie ihn. »Ich bin in einer Minute wieder da.«
Korber wollte
gar nicht daran denken, was an diesem Wochenende noch alles passieren konnte. Er
sah Komplikationen mit Simone auf sich zukommen und fürchtete noch mehr die Unberechenbarkeit
seines Freundes Leopold. Er fror in seinem durchnässten Gewand, und das machte ihn
nicht gerade optimistischer. Gott sei Dank war Anette wirklich gleich wieder da.
»Ich danke dir, dass du mitgegangen bist«, sagte sie leise. »Das hätte nicht jeder
getan. Offenbar hat es die bösen Geister vertrieben.« Sie küsste ihn flüchtig auf
die Lippen. »Ich glaube, den Schirm da kannst du jetzt ganz gut gebrauchen. Bring
ihn mir am Montag zur Probe wieder mit.«
Ihr »Tschüss«
hörte Korber schon nicht mehr. Den rosa Schirm wie eine Waffe den Elementen entgegenhaltend,
trat er hinaus in den nach wie vor strömenden Regen. Mechanisch setzte er einen
Schritt vor den anderen und beschloss, von den nächsten Tagen nicht allzu viel zu
erwarten.
12
»Gegen meine Verschwiegenheit
kann man das Grab eine Kaffeeg’sellschaft nennen.« (Nestroy: Frühere Verhältnisse)
So wenig Interesse Leopold sonst
Herrn Otto, seinen dunklen Botschaften und seinem regelmäßig ereignislosen Tagesablauf
entgegenbrachte, so sehr strahlte er diesmal über das ganze Gesicht, als er ihn
bei der Tür hereinkommen sah. »Herr Otto, das ist aber eine Freude«, grüßte er ihn.
»Ein frisches, kühles Vierterl wie immer?«
»Meine Freude
hält sich in Grenzen«, grummelte Herr Otto. »Draußen ist es pechschwarz. Da geht
gleich was nieder. Ein Unwetter! Das könnte meinen ganzen Zeitplan durcheinander
bringen. Unter Umständen muss ich heute länger hier bleiben, als mir lieb ist.«
»Ein Unwetter?
Sagen Sie jetzt bloß nicht, dass die Welt heute schon untergeht«, stichelte Leopold.
»Sonst brauche ich Ihnen ja gar nichts mehr einzuschenken.«
»Heute?
Unsinn! Erstens ist das Datum des Weltendes durch den Maya-Kalender festgelegt,
und zweitens wird es nicht durch irgendeine Katastrophe herbeigeführt, sondern durch
den Kometen, wie oft soll ich dir das noch sagen.« Herr Otto griff zu dem ihm von
Leopold kredenzten Weinglas und tätigte einen großen Schluck.
»Manchmal
frage ich mich schon, woher Sie das so genau wissen wollen«, warf Leopold einen
Köder aus.
»Jeder Mensch
mit einem halbwegs klaren Hausverstand kann sich die Sache ausrechnen«, führte Herr
Otto, den der Wein zu beleben schien, aus. »Es ist eine Sache von Materie und Anziehungskraft.
Die Planeten ziehen in einer beständigen Abhängigkeit ihre Bahnen um die Fixsterne,
die Trabanten um die Planeten. Alles sieht so regelmäßig aus, und doch kann sich
das jederzeit auf verheerende Art und Weise ändern. Dazu braucht es gar keine schwarzen
Löcher. Weißt du überhaupt, was das ist, ein schwarzes Loch?«
»Wird schon
nichts Unanständiges sein«, bemerkte Leopold.
»Ganz im
Gegenteil, es ist ein Phänomen. Ein untergehender Stern fällt in sich zusammen und
verdichtet seine Masse dabei so, dass er alles in seiner Nähe an sich zieht, sogar
das Licht. Solch seltsame Dinge gibt es im Weltall, Leopold, und sie alle bestimmen
unser Schicksal! Aber kehren wir zu unseren Umlaufbahnen zurück, das genügt vollkommen.
Ein Komet ist dabei erwiesenermaßen besonders anfällig für eine Unregelmäßigkeit.
Eine winzige, unbedeutend scheinende Abweichung und – Bummm!!!«
Wie zur
Untermalung seiner Ausführungen krachte plötzlich ein Donner, der das gesamte Kaffeehaus
erzittern ließ. »Das ist nur ein kleiner Vorgeschmack, mehr nicht«, lächelte Herr
Otto.
»Und Sie
haben sich Ihr Leben lang mit solchen Dingen beschäftigt?«, legte Leopold ein Schäuferl
nach und schenkte auch das Glas wieder voll, das sein Gast an der Theke bei dem
Kracher blitzartig geleert hatte.
»Willst
du mich beleidigen? Ich hab die Astronomie im kleinen Finger«, protestierte Herr
Otto. »Dazu habe ich mir nie – ich betone, nie! –
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