Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
vielleicht sogar heute Vormittag
einen Sprung bei Ihnen vorbei. Die Adresse habe ich ja.« Schließlich konnte er sich
nicht verkneifen zu fragen: »Geht es etwa um einen größeren Betrag?«
»Ich weiß
zwar nicht, wie viel er in der Zwischenzeit ausgegeben hat«, antwortete Claudia
Riedl bereitwillig. »Aber er war kein Mensch, der zu finanziellen Übertreibungen
geneigt hat, er hat auch seine Alimente immer regelmäßig und pünktlich bezahlt.
Also geht es meinen Vermutungen nach immer noch um schätzungsweise ein bis zwei
Millionen.«
*
Leopold erkannte sie sofort. Sie
schaute vorsichtig nach links und nach rechts, überlegte kurz, ob sie sich niedersetzen
sollte und blieb dann irgendwie mitten im Raum stehen. Er rückte sein Mascherl zurecht,
damit sie auf ihn aufmerksam wurde. »Rita Toth, mein Name. Sind Sie das, der mit
meinem Onkel geredet hat?”, sprach sie ihn an und ging auf ihn zu.
»Ich heiße
Leopold und bin der Oberkellner hier«, stellte er sich vor. »Wenn Sie die Nichte
vom Herrn Roland sind, habe ich um eine Unterredung mit Ihnen gebeten.«
»Ich bin
nur hergekommen, weil mein Onkel mich darum ersucht hat«, erklärte sie sofort. »Ich
weiß, er lässt sich so etwas immer in irgendeiner Form vergüten. Aber erfahren werden
Sie von mir nichts, das sage ich Ihnen gleich!«
»Wissen
Sie überhaupt, worum es geht?«, forschte Leopold.
»Sicher«,
antwortete die Dame resolut. »Sie wollen mir Angaben über den Verein, in dem ich
arbeite, entlocken, weil Sie angeblich einen Freund haben, der Probleme bekommen
hat. Aber so leicht ist das nicht. Bei uns herrscht absolute Schweigepflicht.«
»Erstens
ist der Herr nicht mein Freund, sondern ein Bekannter, und zweitens bestehen seine
Probleme darin, dass er allem Anschein nach umgebracht wurde. Da könnten Sie schon
eine Ausnahme machen. Denn vermutlich hat er bei Ihnen seinen späteren Mörder getroffen.
Ich sehe da einen starken Zusammenhang mit seiner so genannten Präsentation. Dieser
Zusammenhang wird auch der Polizei nicht verborgen bleiben. Die wird bald zu Ihnen
kommen und wissen wollen, wie das hergegangen ist. Lang können Sie Ihre selbst auferlegte
›Schweigepflicht‹ also ohnehin nicht mehr einhalten. Und mir wäre mit ein paar Auskünften
schon ein wenig gedient.«
»Sie gehören
wohl zu der Sorte Mensch, die nicht so leicht aufgibt. Aber selbst, wenn ich wollte,
könnte ich Ihnen kaum etwas mitteilen, das Sie interessiert. Bei uns ist es ähnlich
wie in einem Hotel. Die Leute geben einen Namen an und nehmen unseren Service darunter
in Anspruch. Ob dieser Name stimmt, prüfen wir nicht nach. Die Spenden für Präsentationen
werden bar bezahlt. Wir lassen den Menschen ihre Anonymität, so wie wir es uns in
unseren Statuten zum Vorsatz gemacht haben. Mehr noch: Für die gesamte Zeit seiner
Mitgliedschaft kann bei uns jeder seine Identität mit einer Maske schützen – bei
den diversen Gesprächen mit unseren Lebensberatern, als Zuhörer einer Präsentation,
was ja dreimal verpflichtend vorgeschrieben ist, und schließlich als Vortragender
selbst.«
Leopold
nahm die Fotos aus der Lade, die er zwei Stunden vorher mit nicht sehr vielen erklärenden
Worten von Thomas Korber bekommen hatte. »Ich will gar nicht, dass Sie gegen Ihr
Gewissen handeln«, versuchte er, die temperamentvolle Rita Toth zu beruhigen. »Und
schweigen dürfen Sie von mir aus auch. Es genügen mir einige eindeutige Bewegungen
mit dem Kopf. Ich zeige Ihnen ein paar Bilder. Wenn Sie eine Person darauf kennen,
nicken Sie einfach. Können wir es so machen?«
Rita Toth
rollte mit den Augen. Sie fühlte sich gar nicht wohl in ihrer Haut. Sollte sie nachgeben,
sich schnell dieser Prozedur unterziehen und dann wieder gehen, als ob nichts gewesen
wäre? Oder sollte sie standhalten, auch auf die Gefahr hin, dass dieser lästige
Ober sie mit seinen Fragen nicht in Ruhe lassen würde? Sie bereute bereits, hierher
gekommen zu sein.
Leopold
ließ sich nicht beeindrucken. Er wartete auch ihre Antwort nicht ab. Er begann,
die Kopien der Gott sei Dank neuen und während der Proben gemachten Fotos nacheinander
auf die Theke zu legen. Das Bild von Herwig Walters kam als zweites dran. Rita Toths
Kopf ging wie erwartet auf und ab. Will sie mich jetzt pflanzen, dachte Leopold,
denn der Kopf kriegte sich gar nicht mehr ein. Da bemerkte er, dass er ihr bereits
das nächste Foto vorgelegt hatte. Er deutete mit dem Zeigefinger darauf, quasi zur
Bestätigung. Nochmals ein Ja.
Die
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