Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
andere, sodass er sich entschlossen
hat, die Probe fallen zu lassen. Was er allerdings nicht wusste, war, dass die Person,
mit der er da zusammengekommen war, später zu seinem Mörder wurde.«
»Aber das
wäre ja ein Indiz dafür, dass wir die Lösung dieses Falles ganz woanders suchen
müssen und von unserem Ensemble alle unschuldig sind«, schloss Sven Biedermann.
»Genauso
ist es«, strahlte Ilona Patzak.
15
»Mich hat das Schicksal bestimmt,
das verworfenste Individuum der untersten Gattung zu sein.« (Nestroy: Zu ebener
Erde und erster Stock)
Jeder muss irgendwann einmal aufs
Klo. Dass dies mit einer gewissen Regelmäßigkeit geschieht, dafür sorgt der menschliche
Organismus. Sicher gibt es Ausnahmen, so genannte Steher, die stundenlang sitzen
bleiben können, ohne das erwähnte Örtchen zu frequentieren, und dabei essen und
trinken, was das Zeug hält. Aber sonst kann man es sich beinahe ausrechnen: Je nach
dem, wie viel jemand in einer gewissen Zeit in sich hineinschiebt, so oft muss er.
Leopold
wusste das. Er bemühte sich, der Debatte der Schauspieler zu folgen, aber gleichzeitig
wartete er. Irgendwann würde derjenige aufs Klo gehen, den er brauchte. Und endlich
war es so weit. Sven Biedermann verließ die Runde und bewegte sich zielstrebig auf
die Toilette zu.
»Herr Biedermann,
auf ein Wörtchen«, raunte Leopold ihm zu, als er zurückkam.
»Was ist?«,
kam die überraschte, neugierige Frage.
»Jeder hat
so seine kleinen Geheimnisse, nicht wahr?«, forschte Leopold lächelnd.
»Wie bitte?«
Biedermann verstand jetzt noch weniger.
»Ich hab
Sie da vorne gesehen, in der Angerer Straße«, klärte Leopold ihn bereitwillig auf
und deutete mit dem Zeigefinger in die angesprochene Richtung. »Sie sind gerade
beim Klub herausgekommen, Sie wissen schon, was ich meine. Ich habe jetzt auch bald
meine Präsentation dort. Also, ein bisschen aufgeregt bin ich schon, muss ich gestehen.«
Er erreichte,
was er bezweckt hatte. Sven Biedermann war so aus dem Häuschen, dass er erst gar
nicht versuchte, irgendetwas abzustreiten. »Das ist doch nicht die Möglichkeit«,
entrüstete er sich nur. »Jetzt soll mir einmal einer sagen, was an diesem Verein
anonym ist.«
»Ja, was
ist heutzutage schon anonym«, flötete Leopold. »Vor allem, wenn man einander irgendwo
zufällig begegnet, wo man nicht sollte. Aber ich bin da Gott sei Dank nicht so pingelig.
Man muss immer und überall damit rechnen, dass man erkannt wird. Wobei es in meinem
Fall als Oberkellner, als Respektsperson sozusagen, schon peinlich wäre, wenn jemand,
der mich kennt, meine Lebensbeichte hören würde und wüsste, dass ich es bin.«
Biedermann
war weiterhin verwirrt. Er stand da, ein nicht allzu großer, bebrillter, schmächtiger
Mann mit schwarzem Vollbart, über den er unentwegt mit der Hand streifte, und musste
zu Leopold aufschauen, der um die eine Stufe größer war, um die der Bereich hinter
der Theke erhöht war. »Bitte sagen Sie es niemandem«, war das Einzige, was er herausbrachte.
»Natürlich
nicht«, beschwichtigte Leopold. »Wo denken Sie denn hin? Ich fand es nur witzig,
Sie jetzt wiederzusehen. Die meisten Leute finden es ja komisch, jemandem unter
anderen Umständen zu begegnen, den sie vorher schon einmal getroffen haben. Das
muss bei Ihnen und Herrn Walters ja genauso gewesen sein.«
Wieder war
Leopolds Taktik erfolgreich. Der Schock saß tief. Biedermann brachte zunächst gar
kein Wort heraus. »Sie meinen … den Regisseur Walters?«, stieß er dann hervor.
»Genau den
meine ich. So ein Künstler wie er ist eben etwas Einmaliges, die Statur, der Gang,
die Bewegungen, die Stimme. Da gibt’s praktisch keine Anonymität. Sie haben ihn
im Klub sicher auch gleich erkannt. Vielleicht waren Sie sogar bei seiner Präsentation
und haben später einmal mit ihm darüber geredet«, bohrte Leopold weiter.
»Nein, so
war das nicht«, antwortete Biedermann diesmal entschieden. » Er war bei meiner Präsentation anwesend. Gleich zu Beginn der Proben hat er mich darauf angesprochen.
Ich bin aus allen Wolken gefallen.«
Leopold
machte jetzt ein sehr ernstes Gesicht. »Darüber würde ich gerne kurz mit Ihnen reden«,
sagte er.
»Warum denn
das?« Biedermann schaute Leopold irritiert an. Gleichzeitig blickte er nervös nach
hinten, wo der Rest der Schauspieler immer noch heftig diskutierte.
»Erstens
sind wir beide so etwas wie Leidensgenossen«, teilte Leopold ihm mit. »Ihr Schicksal
liegt bereits ausgebreitet vor aller
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