Netha-Chrome
ja selbst der Widerstand nicht.
Je weiter wir Agent Washington folgten, umso steiler fiel unser Gang ab. Je mehr Stahltüren wir passierten, umso enger wurden die seltsamen Gänge, die schon lange nicht mehr zum Keller des Matilda`s gehören konnten, weil der Laden einfach nicht groß genug war. Langsam wurde mir bewusst, dass es sich nicht mehr um einfache Kellergewölbe irgendwelcher illegalen Blechbuden handeln konnte, sondern um die weitverzweigten Zugangstunnel zu den unteren Ebenen der Stadt. Sydneys und meine Blicke trafen sich immer wieder, und auch die Agentin schien sich langsam zu fragen, wo Washington uns hinführte. Ich hatte BAS immer mal wieder gefragt, ob er mir freundlicherweise unsere Position anzeigen konnte, doch die Navigation meines Nano-Bosses streikte so tief unter der Erde. Und Sydneys System schien auch nicht viel besser zu sein.
„Wo sind wir?“, fragte sie den Agenten.
„Der gesamte Spaceport-District ist mit unterirdischen Tunneln durchzogen, die irgendwann in den unteren Ebenen der Stadt enden. Wir steuern den zentralen Treffpunkt des Widerstandes an, einen Sub-Club namens Echo. “
„Ein Sub-Club?“, fragte ich verwundert. Ich hatte von solchen unterirdischen Clubs gehört, in denen richtig die Post abgehen sollte. Sex, Drugs und Rock `N Roll standen dort auf der Tagesordnung, Tabus gab es nicht. Erlaubt war alles, was normalerweise verboten war. Zum Beispiel wilde Hochzeiten zwischen Menschen und Maschinen, die in frenetischen Orgien gefeiert wurden. Freie Liebe zwischen Mensch und KI. Das neueste Dekret zur „Selbsterhaltung der marsianischen Bevölkerung“ hatte dies vor wenigen Wochen verboten. In Sub-Clubs interessierte das aber niemanden.
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich auf ein Protektorats-Dekret geschissen, als ich Sydney in den Outbacks geküsst hatte. Hätte ich das tun können, wenn mein Mentha-Programm korrekt gearbeitet hätte? Ich wusste es nicht. Omega hatte erwähnt, dass dieses Programm die Menschen nicht davon abhielt, Gesetze zu brechen. Aber Dekrete waren keine normalen Gesetze. Dekrete dienten als Leitfäden unserer Kultur.
Ich schaute die KI an, die neben mir herlief und ebenfalls in ihren Gedanken versunken zu sein schien. Als sie mir von unserem Kuss berichtete, hatte ich kurz das Gefühl, dass sie selbst dieses Dekret missachtet hätte. Hatten ihre Gefühle dieses Mentha-Programm vielleicht umgehen wollen, so wie bei mir? Wenn ja, dann mussten diese Gefühle stark gewesen sein.
„Was denken Sie, Sydney?“, fragte ich die KI dann nach einer kurzen Weile. Ihr Kopf zuckte zur Seite und sie schaute mich an, als hätte ich sie aus einem Traum gerissen.
„Ich versuche die Informationen, die wir gerade erhalten haben, zu verarbeiten. Nichts weiter.“
„Nichts weiter? Wirklich nicht?“
„Was wollen Sie hören?“ Ich runzelte meine Stirn. Ja, was wollte ich denn von ihr hören?
„Ich…keine Ahnung. Was glauben Sie, wie es jetzt weitergeht?“ Die KI zuckte mit den Achseln.
„Ich weiß es nicht. Zuviel hat sich geändert. Ich muss alle Variablen unseres Handelns neu überdenken.“ Ich schmunzelte leicht.
„Variablen? Jetzt reden Sie wieder wie eine Maschine.“
„Nun, ich bin und bleibe eine Maschine, Arkansas. Auch wenn Omega-Theta mich dazu bringen wollte, meine Existenz als solche zu überdenken.“
„Wollten Sie nicht anfangen, sich nicht als Maschine zu sehen, Sydney?“ Die KI schien kurz nachzudenken.
„Momentan ist es angebrachter, mich als Maschine zu betrachten. Es hilft mir, die Dinge sachlich zu analysieren, wenn ich mich nicht darauf konzentrieren muss, wie ein Mensch zu denken und zu handeln.“
„Sie legen also einfach einen Schalter um und sind voll und ganz Maschine?“, fragte ich und seufzte leise. „Manchmal sind Sie zu beneiden.“ Sydney lupfte ihre linke Augenbraue.
„Finden Sie?“ Ich atmete tief durch und schwieg. Ja, manchmal wünschte ich mir auch, einfach alles Störende abschalten zu können. Gefühle, Gedanken, einfach alles, was mich hinderte, sachlich zu bleiben und die Lage reinweg so zu betrachten, wie sie wirklich war. Momentan schwirrten mir so viele Dinge im Kopf herum, dass ich kaum fähig war, einen klaren und analytischen Gedanken zu fassen. Ich musste an Tijuana denken. Wo steckte sie wohl? Hatte man sie eingesperrt? War sie in Gefahr? Ich wusste es nicht. Ich wusste auch nicht, was passierte, wenn ich sie wiedersähe. Ich war von der Manipulation befreit, meine Gedanken waren
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