Netha-Chrome
eisblauen Augen standen.
„Ich lasse es auch nicht zu“, flüsterte sie. Unsere Blicke trafen und verschlangen sich. Um uns herum herrschte für den Bruchteil einer Sekunde absolute Stille, die Zeit blieb stehen, während sich unsere Seelen miteinander verbanden. Ich wollte Sydney küssen, sie spüren, ich wollte mit ihr zusammen von diesem verdammten Planeten verschwinden und nie wieder zurückkehren. Ich wollte mit ihr in die Unendlichkeit der Sterne fliegen und mich nie wieder um irgendetwas anderes kümmern als um sie. Ich hätte all meine momentanen Empfindungen in ganzen Bibliotheksdateien niederschreiben können, alle Gefühle, die mich nur in diesem einen Moment überwältigten, in dem ich ihr in die Augen schaute. Wenn ich mir auch vorher noch ein wenig uneins über meine Gefühle zu dieser KI gewesen war, in diesem Moment jedoch knallte die letzte und alles entscheidende Sicherung bei mir durch.
„Sydney, ich…“, begann ich, wurde dann aber rüde von Washington unterbrochen.
„Nun kommt jetzt, wir sind fast da!“
Mein, bis zu diesem Zeitpunkt ziemlich sanfter Gesichtsausdruck, wechselte schlagartig, als ich meinen Kopf herumriss und Washington bitterböse anstarrte. Musste er mich genau in diesem Moment unterbrechen?
Der Agent neigte den Kopf zur Seite und hielt seinen Zeigefinger in die Luft. „Hört ihr das?“ Ich hielt inne und vernahm tatsächlich ein dumpfes Wummern irgendwo in der Ferne.
„Was ist das?“, fragte ich. Washingtons Miene klarte sich auf und er grinste.
„Das, meine Freunde, ist die Freiheit.“
Kapitel 9
Wir kämpften uns noch etliche Meter durch engsten und dunkelsten Raum. Das Wummern kam stetig näher und begann langsam, durch seine tiefen Vibrationen meine Innereien zu massieren. Nachdem der drückende Tunnel, der schon seit etlichen Metern einfach nur noch ein in den Fels gehauener Stollen war, einen scharfen Knick nach rechts machte, wurde er langsam breiter. Von irgendwoher drang helles Licht ein und als der Tunnel endlich endete, verschlug es mir gründlich die Sprache.
Vor uns tat sich eine riesige, künstlich und sehr atmosphärisch beleuchtete Höhle auf, die voll war mit Menschen. Die Musik schien nun von überall zu kommen. Der Schall und die dumpfen Bässe wurden von den glatten dunkelroten, stark zerklüfteten Höhlenwänden so zurückgeworfen, dass die rhythmische Synthesizer-Musik einen Klang wie von einer anderen Welt entwickelte. Meine Kinnlade klappte herunter und meine Blicke zuckten umher. Überall standen Menschen in kleinen Gruppen, hatten Trinkgläser mit verschiedenfarbig leuchtenden Inhalten in der Hand, tanzten zu den abgehackten Beats der Musik oder lagen sich in dämmerigen Ecken auf samtroten Kissen in den Armen und fummelten aneinander herum.
Direkt neben mir schob sich ein junger Kerl mit strohblonden, stacheligen Haaren gekonnt eine grünschimmernde Kugel mit der Zunge in den Mund und tauschte sie dann geschickt mit einem Mädchen aus, indem er sie von seiner Zunge auf die ihrige rollen ließ. Das Mädel mit den auffallend lilafarbenen Rasterzöpfen strahlte überglücklich, ihre grünschimmernden Augen leuchteten, als sie mit der Kugel auf ihrer Zunge spielte. Zwar hatte ich so etwas noch nie in der Hand gehalten, wusste aber dennoch, mit was die beiden Kids da spielten: Die Droge nannte sich Torchium und hatte einige interessante Nebenwirkungen, wie zum Beispiel die höllische Lust auf Sex.
Gut, eine solche Wirkung hatten viele Drogen, aber eine besondere Wirkung von Torchium war das absolut realistische Gefühl, sich in die Gefühlswelt desjenigen hineinzuversetzen, von dem man diesen kleinen Spielball zugeschoben bekommen hatte. Vorausgesetzt natürlich, dass die Kugel vorher mit dessen DNA in Berührung gekommen war. Möglich machte das ein einfacher biotechnischer Trick: In einer Torchium -Kugel befanden sich, neben diversen chemischen Wirkstoffen, auch sogenannte BioPlecs, die durch den Speichel die DNA der Menschen aufnehmen konnten und so an die ID-Codes der jeweiligen Nano-Bosse kamen. BioPlecs waren intelligente Zell-Körper und fungierten als organische Computerviren. Sie waren tausendmal kleiner als Nano-Teilchen, von keiner Firewall und keinem Virenscanner zu erkennen und somit auch in der Lage, sich unbemerkt in einem Nano-Boss festzusetzen und dessen Sub-Routinen auszulesen. Mit normalen Computerviren wäre dies kaum möglich, denn Sub-Routinen waren von außen eigentlich vollkommen unzugänglich.
Aber diese
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