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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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mehr,
für den Fall, daß Barry Hunger hatte, und schnitt dicke Scheiben Käse ab, die
ich obenauf legte.
     
     
     

SIEBENTES
KAPITEL
     
    Um zehn Uhr dreißig hatte das
Tenderloin eine schäbige Neon-Verkleidung angelegt. Die Lichter der Bars und Porno-Theater
und billigen Hotels tauchten die Gegend in Rot und Gold, in Pink und Grün, und
maskierten das Schlimmste. Aber unter dem grellen Putz sah man den Verfall, sah
auch die Gassen, in denen Gefahr lauerte.
    Ich parkte auf einem bewachten
Parkplatz, den Carolyn mir empfohlen hatte, und ging dann zum Globe Hotel.
Meine Sinne waren wachsam geschärft für all die Aktivität, die mich umflutete.
Frauen mit harten Gesichtern — einige in geschmacklose Pracht gehüllt, andere
in Lumpen — gingen ihrem Geschäft nach oder standen an den Ecken und warteten
darauf, daß sie ein Angebot bekamen. Schäbige Männer, die Kragen gegen die
beißende Kälte hochgestellt, hasteten die Bürgersteige entlang oder lehnten an
den Häusern und bettelten. Säufer umklammerten ihre in Papier gehüllten
Flaschen, als wären sie die letzte schwindende Hoffnung. Aus den Bars dröhnte
Musik und trunkenes Gelächter; aus den Restaurants kam der Geruch von Fett,
schwach untermauert von den Straßengerüchen nach Abfall und Urin.
    Die Tür des Globe war nicht
verschlossen. Ich eilte hinein, dankbar für den ersten Strom warmer Luft, blieb
dann überrascht stehen. Auf dem Tresen, auf dem Sallie Hydes falscher
Weihnachtsbaum gestanden hatte, befand sich eine kleine Kiefer in einem
rot-grünen Topf. Sie war mit handgearbeiteten Ornamenten verziert, wie man sie
in Spezialgeschäften findet, und ein hübscher goldener Stern krönte ihre
Spitze. Eine schwere Metallkette wand sich um den Topf. Ich durchquerte die
Halle und folgte der Kette hinter den Tresen, wo sie mit Hilfe eines
Vorhängeschlosses an einer der Stützstreben befestigt war. Jemand wollte hier
kein Risiko eingehen.
    Und zu Recht: lebende Weihnachtsbäume
waren nicht billig. Das wußte ich, weil ich sie hochschätzte. Genausowenig wie
der Schmuck, der den Baum zierte. Wer, so fragte ich mich, hatte hier so viel
Geld ausgegeben?
    Ich ging zur Tür von Mrs. Zemaneks
Wohnung und klopfte, erhielt aber keine Antwort. Das ganze Haus war ruhig,
obwohl ich ein Radio spielen und ein Baby in einer der Wohnungen weinen hören
konnte, die auf der anderen Seite der Feuertür im Erdgeschoß lagen. Es war zehn
Uhr dreißig vorbei, und Carolyn war noch nicht gekommen. Aber sie hatte schon
gesagt, es könnte später werden, als wir telefoniert hatten. Ich beschloß, in
ihrer Abwesenheit noch einmal den Keller zu erforschen; am Morgen war ich nicht
so gründlich vorgegangen, und es war mir in den Sinn gekommen, daß ich
möglicherweise ein Versteck übersehen hatte.
    Ich hatte eine Papiertüte mit dem
olivgrünen Laken dabei, das ich am Morgen gefunden hatte, und jetzt überlegte
ich einen Moment, ob ich es hinter dem Rezeptionstisch liegen lassen sollte. Doch
dann beschloß ich, es mitzunehmen, und stopfte es fest unter meinen Arm, als
ich durch die Feuertür ging. Während ich den Flur entlangging, wurde das
Schreien des Babys lauter. Die rauhe Stimme einer Frau übertönte es mit Worten,
die ich langsam als nasale vietnamesische Laute erkannte. Dann erklang die
laute Musik, die für gewöhnlich Autojagden im Fernsehen begleitet. Das Kind
hörte entweder auf zu weinen, oder sein Heulen wurde vom Fernseher übertönt.
Ich zuckte mit den Achseln und dachte, daß wohl jeder seine eigene Art hat, mit
Kindern und ihren Problemen umzugehen.
    Im Treppenhaus glühte schwach die
einsame Birne, und ihr Schein wurde von den hellgrünen Wänden zurückgeworfen.
Ich betätigte den Schalter neben der Tür und sah einen Lichtstrahl auf der
Treppe, die zum Keller hinabführte. Ich stand ganz still und lauschte auf das
Brummen des Brenners unten. Das Blatt Papier, auf dem Mrs. Vang mir die
erschreckenden Ereignisse aufgelistet hatte, hatte keine Zeiten angegeben, nur
Daten. Aber jetzt war mir klar, daß der Lärm im Keller sich auf die Stunden
beschränkt haben mußte, in denen der Brenner nicht arbeitete; andernfalls
hätten die Bewohner sie kaum hören können.
    Das war gut, denn es bedeutete, daß — wer
immer den Ärger machte — das Haus bei Tage betreten haben mußte und ihn
möglicherweise jemand gesehen hatte. Wahrscheinlich sogar. Ich mußte die Zeiten
überprüfen, in denen die Geräusche aufgetreten waren — wenn sich noch jemand
daran erinnerte —

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