Nette Nachbarn
kleines Gehalt, einen Raum im zweiten Stock und viel Befriedigung durch die
Arbeit. Schließlich endete es damit, daß ich volle Partnerschaften anbot.«
»Willst du damit sagen, daß Leute wie
Gilbert genausoviel zu sagen haben, was All Souls betrifft, wie du ?«
»Genau.«
Wieder einmal hatte er mich verblüfft.
Und plötzlich hatte ich einen entsetzlichen Verdacht. »Hank«, sagte ich, »wenn
Gilberts Clique ihren Willen durchsetzt, was gedenken sie dann mit meiner
Arbeit zu tun?«
Er sah aus, als fühlte er sich nicht
sehr wohl.
»Hank!«
»Sie wollen einen Vertrag mit einer
unabhängigen Agentur abschließen. Sie behaupten, wir haben nicht genug Arbeit,
um einen festangestellten Detektiv zu finanzieren.«
Ich dachte an die Zehn- und
Zwölf-Stunden-Tage, die für mich Routine waren. Ich dachte an die Zeugen, die
ich befragte, die Gerichtsverhandlungen, bei denen ich aussagte, an die
Dokumente, die ich zustellte oder einreichte. Ich dachte an die Fälle, die ich gelöst
hatte und die den Namen All Souls auf die erste Seite der Zeitungen und neue
Klienten an unsere Tür gebracht hatten.
»Ich weiß«, sagte Hank leise.
»Du weißt! Ist das alles, was du sagen
kannst — du weißt}«
Es klopfte an die Tür, und dann wurde
sie so heftig aufgestoßen, daß sie an die Wand schlug. Gilbert Thayer — der
Teufel, von dem wir gesprochen hatten — stand da, und sein kleines Bärtchen
zuckte empört. »Sharon«, erklärte er, »du hast so geparkt, daß ich nicht aus
der Auffahrt kann.«
Also gehörte ihm der weiße Volvo. »Ich
komme sofort, Gilbert«, versprach ich, griff nach meinen Schlüsseln und wandte mich
wieder Hank zu.
Gilbert blieb stehen, atmete keuchend.
Ich schaute ihn über die Schulter hinweg an. »Ich sagte, ich komme gleich.«
»Sharon, ich habe dir gestern schon
eine Notiz an die Windschutzscheibe geheftet, was das Benutzen der Auffahrt
angeht.«
»Ich benutze nicht die Auffahrt,
Gilbert. Mein Wagen steht auf der Straße.«
Ich will verdammt sein, wenn Hanks
Mundwinkel nicht nach oben zuckten.
»Nichtsdestotrotz dient die Auffahrt
nicht deiner Bequemlichkeit«, erklärte Gilbert stur.
Genauso hatte er sich auch in seiner
Notiz ausgedrückt. Gilberts Meinung nach diente die Auffahrt nur der
Bequemlichkeit der Anwälte. Ich lächelte boshaft.
Hank schien verwirrt.
»Gilbert«, erkundigte ich mich, »wo
wohnst du?«
»Potrero Towers. Das weißt du doch.«
Potrero Towers war ein luxuriöser Gebäudekomplex mit Eigentumswohnungen, in dem
sein Vater ihm, wie Gilbert gerne jedem erzählte, der bereit war zuzuhören,
eine Wohnung gekauft hatte.
»Verstehe. Und wer hat dort ein
Anrecht, die Auffahrt zu benutzen?«
Jetzt fing Hank an zu lächeln, ebenso
boshaft wie ich selbst.
Gilbert dagegen war so in seinen
selbstgerechten Zorn vertieft, daß er seinen Irrtum nicht bemerkte. »Sharon,
ich muß da rausfahren. Also, würdest du bitte deinen Wagen entfernen!«
»Gemäß deiner Notiz von gestern dient
die Auffahrt der Bequemlichkeit der Anwälte — tatsächlich aber ist sie für die
Hausbewohner gedacht. Ich glaube, das steht in der Hausordnung. Sie ist niemals
durchgesetzt worden, weil die Leute begreifen, daß es schwierig ist, hier einen
Parkplatz zu finden, und alle versuchen, miteinander auszukommen und sich
gegenseitig das Leben leichter zu machen.«
»Trotzdem ist es immer noch die Regel —
«
»Gilbert, dann verstößt du dagegen. Du bist kein Hausbewohner.«
Hinter mir wurde es plötzlich sehr
still. Als ich ihn über die Schulter hinweg ansah, war sein kaninchenhaftes
Gesicht vollkommen reglos.
»Du wohnst genausowenig hier wie ich,
Gilbert«, fuhr ich fort. »Und da das so ist, hast du ebensowenig ein Recht
darauf, die Auffahrt zu benutzen wie ich.«
Ein häßliches Rot breitete sich langsam
auf seinem Gesicht aus. Seine Nase und sein Schnurrbart zuckten wild. Ich
wünschte, ich hätte eine Karotte bei mir gehabt, um ihn zu füttern.
Schließlich sagte er: »Du... du... du
fährst deinen Wagen da weg!«
»Tut mir leid, Gilbert.« Ich wandte
mich wieder Hank zu. Der hielt eine Hand an die Stirn gepreßt und starrte auf
einen Stapel Unterlagen vor sich. Seine Schultern zuckten.
»Ich lasse ihn abschleppen!« sagte
Gilbert. »Wirklich, ich lasse ihn abschleppen, du versperrst eine Auffahrt, das
ist gegen das Gesetz. Ich lasse ihn abschleppen!«
Plötzlich schnaubte Hank. Ich starrte
ihn erstaunt an. Er schnaubte wieder.
Manchmal, in Augenblicken großer
Anspannung, wenn ich
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