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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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weiter, leiser, aber ebenso
eindringlich. »Verdammt, Shar, keiner der ursprünglichen Partner ist mit der
Vorstellung zu All Souls gekommen, hier reich zu werden. Wir haben gewußt, daß die Gehälter nicht mit anderen zu vergleichen waren. Wir wußten, daß die
Beihilfen nicht verschwenderisch ausfallen würden. Aber trotzdem haben wir uns
zusammengetan — weil wir den Menschen helfen wollten. Wir wollten unseren
Mitbürgern Recht zukommen lassen.« Er lachte verbittert. »Den Menschen helfen.
Recht sprechen. Ich glaube, wir sind wirklich altmodisch.«
    Seine Worte erinnerten mich an die
Gedanken, die ich am Vortag oben auf dem Dach des Globe Hotels gehabt hatte — darüber,
mit den achtziger Jahren nicht mehr Schritt halten zu können. »Also nur ein
Haufen alternder Radikaler, was?« bemerkte ich.
    »Das sind wir.« Er lachte schmerzlich
berührt, aber aus seinen Worten sprach auch ein gewisser Stolz. Hank trug jetzt
dreiteilige Anzüge, wenn er bei Gericht erscheinen mußte; er zog Symphonien
Rock-Konzerten vor; er trank guten Scotch anstelle von einfachem Wein. Aber er
konnte niemals vergessen, wie es auf den Schlachtfeldern von Vietnam zugegangen
war — oder bei den Protestmärschen, nachdem er zurückgekehrt war. Er glaubte an
diese abstrakten Konzepte, den Menschen zu helfen und Gutes zu tun. Und deshalb
war mein Gefühl, was die Zukunft All Souls anging, jetzt schon wieder besser.
    »Mit ›wir‹«, fragte ich, »meinst du
damit Menschen wie Anne-Marie?«
    »Ja, sie ist eine, die auf meiner Seite
steht. Sie ist ausgezogen, weil sie nicht in dieser bedrückenden Atmosphäre
arbeiten und leben konnte, aber sie steht immer noch fest hinter mir. Ebenso
wie Harold und Walt und Michele.«
    »Und auf der anderen Seite — sind das
die Leute wie Gilbert Thayer?«
    »Ja. Er ist sogar der Anführer, um die
Wahrheit zu sagen.«
    Ich dachte an die Notiz, die Gilbert
mir am gestrigen Nachmittag an die Windschutzscheibe geklemmt hatte — daß ich
nicht das Recht hätte, in der Auffahrt zu parken. Und dann stellte ich mir
Gilbert selbst vor — einen schlanken, jungen Mann mit dem Bärtchen eines
Salonlöwen, vorstehenden Zähnen und einem säuerlichen Gesichtsausdruck, der ihn
aussehen ließ wie ein magenkrankes Kaninchen.
    »Du solltest dein Gesicht sehen«,
bemerkte Hank.
    »Na ja, ich hab’ Gilbert nie gemocht.
Du mußt doch zugeben, daß er sowohl vom Aussehen als auch vom Wesen her eines
der häßlicheren männlichen Exemplare ist.«
    »Seine Ideologie beunruhigt mich weit
mehr als seine Launen oder sein Aussehen. Es hat in unserem Beruf immer
Menschen wie Gilbert gegeben. Aber das ist eine Gattung, die ich nicht
verstehe. Und mehr und mehr von ihnen verlassen in jüngster Zeit die
Rechtsakademie. Sie sehen in den Gesetzen keinen Rahmen zur Erhaltung der
Rechte des einzelnen; statt dessen halten sie sie für ein System, von dem ein
paar — in erster Linie sie selbst — profitieren können. Und innerhalb dieses
Systems ist der gewöhnliche Klient nichts weiter als ein Einkommen
produzierendes Objekt.«
    Er hatte recht — und das war noch
furchterregender als die mögliche Auflösung von All Souls. »Hank, ich verstehe
aber immer noch nicht, wie Menschen wie Gilbert hier hereinspazieren und
versuchen können, alles unter ihre Kontrolle zu bringen.«
    »Sie spazieren nicht einfach herein,
Shar. Sie sind Partner.«
    »Aber du und Anne-Marie und die anderen
— ihr seid doch länger hier. Haben eure Stimmen da nicht mehr Gewicht?«
    »Nein. Und ich fürchte, das ist mein
Fehler. Es ist irgendwie eine Ironie — Gilbert und seine Anhänger werfen mir
vor, noch immer zu leben wie in den sechziger Jahren, und dabei war es gerade
mein Versuch, All Souls in die achtziger Jahre zu versetzen, der ihnen in die
Hände gespielt hat.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Vor ein paar Jahren beschloß ich, daß
wir unseren Klienten vollständigere Dienste bieten müssen. Oh, wir hatten ein
paar Spezialisten, wie Anne-Marie für die Steuer, aber prinzipiell fehlten uns
die Experten, die unsere Klienten brauchten. Also schickte ich mich an, Leute
mit genau diesen Eigenschaften zu suchen. Gilbert zum Beispiel für
Vertragsschutz. Und dann fand ich schnell heraus, daß meine Mitarbeiter jetzt
viel mehr am Geld orientiert sind als damals, als wir den Abschluß machten. Die
meisten niedergelassenen Anwälte konnte ich mir nicht leisten, also mußte ich
zu den Seminaren gehen. Und selbst den neuen Männern mußte ich mehr bieten als
ein

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