Nette Nachbarn
und ich
meinte es ernst.
ZWANZIGSTES
KAPITEL
In der Temple Bar war es dunkel, und
sie war überfüllt von Menschen in Geschäftskleidung, die tranken und redeten,
während sie auf Tische warteten. Ich drängte mich durch, murmelte
Entschuldigungen, wenn ich den Ellbogen in die Handtasche einer Frau bohrte
oder gegen den Aktenkoffer eines Mannes stieß. Als ich die Bar endlich sehen
konnte, entdeckte ich Don, der vor einem Glas Rotwein saß und in eine
ernsthafte Unterhaltung mit dem Barkeeper vertieft war. Ich trat hinter ihn und
tippte ihn auf die Schulter.
Don sah mich kurz an und sagte zum
Barkeeper: »Ich rufe Sie an.« Der Mann nickte mit Verschwörermiene und ging
davon.
»Worum ging es?« wollte ich wissen, als
Don sich auf seinem Barhocker umdrehte, um mich zu begrüßen.
»Er hat einen Freund mit einer
Geschichte, die ich vielleicht für eine meiner One-in-four-Sendungen haben
möchte.«
»Korruption höheren Ortes?«
»Das ist die richtige Bezeichnung — im
Hochbau. Der Freund des Barkeepers ist sauer auf ein Konsortium von
Stadtplanern, die ihn verdrängt haben, und er könnte bereit sein, über ihre
Beziehungen zum Rathaus zu plaudern.«
Ich lächelte, bewunderte wieder einmal,
daß Don in eine Bar gehen konnte, eine Unterhaltung mit dem Barkeeper anfing
und am Ende eine mögliche Story in der Hand hatte — das alles zur
Hauptgeschäftszeit um zwölf Uhr mittags.
»Sie haben einen Tisch für uns
reserviert«, erklärte er mir jetzt.
Auch das war eines seiner seltenen
Talente — einen Tisch freigehalten zu bekommen, während andere Schlange
standen. »Ich hoffe, da ist Platz genug für drei. Ich habe nach dir noch
Carolyn Bui angerufen und sie eingeladen, auch zu kommen. Du hast doch nichts
dagegen, oder?«
»Carolyn Bui — ist das die Eurasierin,
die dich engagiert hat?«
»Ja.«
»Prima. Die mag ich. Scheint mir eine
sehr eindrucksvolle Frau zu sein, so, wie die sich hält, nach all dem
Durcheinander im letzten Frühjahr.« Er spielte damit auf den Fall an, bei dem
ich Carolyn kennengelernt hatte.
»Ja, sie ist — « Ich brach ab, als ich
sie aus der Menge hinter uns auftauchen sah.
Ich stellte Don und Carolyn noch einmal
vor, und dann gingen wir zu unserem Tisch und bestellten etwas zu trinken. Ich
beschloß, die schlechten Nachrichten so schnell wie möglich hinter mich zu
bringen, und so erzählte ich ihr, daß Greg mir verboten hatte, den Fall weiter
zu bearbeiten, und auch von Duc Vangs Verschwinden. Carolyns Gesicht umwölkte
sich, und als der Kellner ihren Campari Soda auf den Tisch stellte, nahm sie
einen kräftigen Schluck.
»Großer Gott, diese Familie hat schon
so viel durchgemacht! Auf dem Weg zurück ins Büro gehe ich am Hotel vorbei und
sehe, ob ich irgend etwas für sie tun kann. Was dich betrifft, Sharon, so ist
es zu schade, daß du nicht daran Weiterarbeiten kannst, aber ich verstehe
natürlich, daß du deine Lizenz nicht riskieren willst. Ich schätze, wir werden
uns einfach auf San Franciscos Polizei verlassen müssen.« Verbittert verzog sie
den Mund; Carolyn hatte seit dem vergangenen Frühjahr genug von Polizisten.
Der Kellner kam zurück und zählte die
Spezialitäten des Tages auf. Der Fisch verlockte mich sehr — aber dann
entschied ich mich doch für Fettucini mit Muschelsauce. Don grinste; wenn ich
die Wahl zwischen etwas Gesundem und Pasta hatte, pickte ich unweigerlich das
letztere heraus.
Das Sauerteigbrot war nicht frisch,
weil Mittwoch war, der Tag, an dem die Bäckereien geschlossen hatten, aber Don
und Carolyn stürzten sich darauf, als käme es direkt aus dem Ofen. Ich spielte
mit einem kleinen Stück, hörte ihm zu, wie er sie über die Programme des
Refugee Assistance Center ausfragte. Das dämmrige Licht im Restaurant paßte
tatsächlich hervorragend zu meiner düsteren Stimmung, und der fröhliche Lärm
der Stimmen um uns her ließ sie nur noch mehr sinken. Selbst daß Don
gelegentlich meinen Arm berührte, besserte meine Laune nicht.
Unser Essen kam. Ich bestellte noch ein
Glas Wein — etwas, was ich für gewöhnlich mitten am Tag nicht tue — und schob
die Fettucini auf dem Teller herum, suchte halbherzig nach Muscheln. Carolyn
unterhielt sich über die Hmong, den Stamm ohne geschriebene Sprache. Ich
schaltete mich aus der Unterhaltung aus und dachte über Bruder Harry nach.
Mir gefiel der Gedanke, daß es
irgendeine Verbindung zwischen dem Straßenprediger und Otis Knox gab, etwas,
das dem flüchtigen Beobachter nicht
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