Neu-Erscheinung
Mann wiegt gut und gerne 120 Kilo, und die fette Masse lässt sich nur mit extremem Kraftaufwand ins Innere des Schwesternzimmers ziehen. Gerade noch schaffe ich es, den Universalschlüssel aus seiner engen Pflegerhose zu fummeln, als mich fachchinesisches Geplapper vom Flur auf eine neue Gefahr hinweist. Die Bettpfanne ist bereit für einen zweiten Einsatz...
Ich und der Morgen danach
Bettina und ich hatten außer einem polarkalten ›Gute Nacht‹ kein Wort miteinander gewechselt. Was ganz bestimmt nicht an mir lag. Mehrfach hatte ich den Versuch unternommen, ihr zu erklären, was passiert war. Auch wenn eigentlich gar nichts passiert war. Ohne Chance.
Und jetzt trennte uns am Frühstückstisch eine papierne, schwarz-weiße Sichtwand aus langweiligen Headlines und bunten Agenturfotos. Hinter dem grienenden Konterfei des Weltbankpräsidenten kaute Bettina an einem Mehrkornbrötchen. Sehen konnte ich sie nicht, aber wenigstens hören.
Dieser Zustand war nicht länger tragbar, ich litt wie ein Hund an einer Autobahnraststätte. Nur, dass mich kein lieber Tierfreund losband, um mich auf seinen Schoß zu nehmen.
»Bettina?« Ich säuselte mehr, als dass ich sprach.
Sie biss noch kräftiger in ihr Brötchen.
»Kann ich dir noch einmal was sagen?«
Sie kaute, als gälte es, die Backenzähne zu einem akustischen Mahnmal weiblicher Aggression zu machen.
»Bettina?«
Mit einem Mal senkte sich der Weltbankpräsident auf Seite 1 und gab mir die Möglichkeit, meine mehrkornbrötchenkauende Frau endlich wieder zu sehen. Kein Sieg, aber ein schöner Anblick.
»So!«, begann Bettina ihren ersten knappen Satz seit einer gefühlten Ewigkeit.
Ich war erleichtert, sie sprach mit mir. Auch wenn das, was nun kommen sollte, bestimmt keine Liebeserklärung wurde, aber sie sprach, und nur das zählte.
»Wenn du glaubst, dass ich dir diese Praktikantinnengeschichte abkaufe, dann ...«
Ein Mehrkörnchen hatte sich in ihrem Mund verfangen und erschwerte die Fortsetzung des Satzes. Ein schneller Schluck Kaffee jedoch befreite das Mehrkörnchen und ließ Bettina fortfahren.
» ... dann hast du dich schwer vertan. Keine Praktikantin dieser Welt schickt ihrem Chef eine derartig private SMS . So! Und ich möchte einfach nicht, dass du denkst, dass ich dir so eine dämliche Geschichte abkaufe. Weil du mich damit nämlich auf eine geistige Stufe mit einer Amöbe setzt.«
Ich musste lächeln.
»Was grinst du denn jetzt schon wieder so doof?«
»Wegen der Amöbe! Fand ich lustig. Das Bild. Geistige Stufe einer Amöbe.«
»Paul, das ist nicht lustig.«
»Nein, eigentlich nicht, du hast recht!«
»Ich hab eine Menge Mist erlebt, und mir ist überhaupt nicht nach Späßen zumute.«
»Versteh ich doch.«
Mit einem Mal holte sie die Zeitung wieder hervor, und während ich feststellen musste, dass der grienende Weltbankpräsident auf Seite 1 in unserer Kiwi-Aprikosenmarmelade gebadet hatte, begann Bettina etwas vorzulesen.
»Sie braucht jemanden, der sie da rausholt. Eine Freundin, die sie versteht und sich vor sie stellt. Sie braucht: MICH !«
»Ist das ...?«
Die Zeitung senkte sich, hielt sich aber noch knapp über dem Tisch, ohne ihn zu berühren.
»
Die Messias
, ja! Und weißt du, was ich mir gerade beim Lesen gedacht habe!«
Ich hoffe, du hast das Richtige gedacht, durchzuckte es mich. Mein Herz hüpfte. Sie hatte verstanden.
»Ich bin mir nicht sicher, was du gedacht hast. Möchtest du’s mir sagen?«
»So langsam mag ich die Geschichte. Ich kann dir gar nicht genau erklären, warum, aber irgendwie krieg ich mehr und mehr das Gefühl, dass ich und sie ... egal, vergiss es, das ist j etzt ...«
»Ja?«
»Nichts!«
»Doch, du hast gesagt, das ist jetzt ...«
»Ist doch egal.«
»Nein, wenn es egal wäre, würde ich nicht fragen.«
»Ich ...«
Sie stockte, so als hätte sie einen Fehler gemacht. Aber warum? Es war doch alles richtig. Doch bevor sich die Gunst der Stunde vollends verabschiedete, legte Bettina nach.
»Gut, ich sag’s dir.«
Sie tippte auf die Zeitung und begann zu zitieren.
»Ich bräuchte auch mal jemanden, der ... mich versteht.«
Hallo, da bin ich.
» ... der mich versteht und sich vor mich stellt.«
Oho, schon wieder ich. Mir schwoll der Kamm.
»Aber du lässt dich ja lieber von einer wildfremden Praktikantin besimsen.«
Der Kamm schwoll ab, mit Lichtgeschwindigkeit oder noch schneller.
Ach Bettina, für wen schreibe ich das denn alles? Der Gedanke blieb unausgesprochen, was ihn aber
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