Neu-Erscheinung
dann muss sie zum Arzt!«
»Morgen zusammen!«
Siggi platzte in die Redaktion. Ich hatte eine Toplaune, die er aber mühelos toppte. Er strahlte übers ganze Gesicht und wedelte mit einer CD , während Ansgar sein Gesicht in den Händen vergrub, um dem Elend der Welt und seinem schweren privaten Schicksal wenigstens visuell zu entfliehen.
»Hier ist die Story über Kevin Lehmschulte. Ich hab sie zu Hause geschrieben. Keine Angst, hab ich gerne gemacht, freiwillig, keine Überstunden. Schöne Story!«
Ansgar befreite sich ruckartig aus seinem Exil und schaute zunächst Siggi an, dann wechselten er und ich einen kurzen Blick, weil wir uns beide keinen Reim auf das machen konnten, was Siggi uns da gerade zu erklären versuchte.
»Haben wir morgen noch Platz? Lokalteil 1 wär super!«
»Siggi? Seit wann machen wir Homestorys über Bogenschützen?«, fragte ich ihn respektvoll.
»Äh ... die Story ist echt gut!«
»Noch konkreter gefragt: Seit wann machen wir überhaupt Homestorys im Lokalteil?«
»Ich versteh nicht ganz.«
»Dann erklär’ ich’s dir, Siggi«, Ansgar stand mir kollegial zur Seite, »wir machen keine Homestorys. Hier ist Muenden! Hier ist der Arsch der Welt! Und hier interessiert sich keine Sau, wie irgendein Bogenschütze lebt, es sei denn, er hat mit seinem Pfeil einen abgeschossen, okay?«
»Hey Leute, ihr habt die Story doch noch gar nicht gelesen?!«
»Hat er einen abgeschossen?«, fragte ich, der Form halber.
»Nein, aber ...«
»Dann findet er im Lokalteil nicht statt.«
Ansgar und ich hämmerten spontan und synchron in die Tastaturen, was Siggi bemerkenswerterweise sofort verstand. Sein leicht erröteter Teint verwandelte sich blitzartig in ein blasses Kleistergrau. Der Mann aus Brömel an der Wurz war mit einem Hochgefühl in den Tag gestartet und nur wenige Stunden später sehr hart gelandet. Seine Text- CD legte er auf meinen Tisch und verschwand still und geschlagen zu seinem Arbeitsplatz.
»Der spinnt doch«, flüsterte mir Ansgar zu.
»Und wie«, antwortete ich.
»Hab ich gehört! Danke, Kollegen!«, fügte Siggi aus dem Hintergrund hinzu.
Die Peinlichkeit des Moments legte sich wie Morgennebel auf unsere Schreibtische. Aber sie verdeckte nichts, sondern ließ Ansgars und meinen Kopf hübsch leuchten.
Wieder einmal war es Frau Löffler, die eine Situation entschärfte.
»Herr Masuch hat angerufen, wegen der Praktikantin.«
»Praktikantin?«, rätselte Ansgar.
»Praktikantin?«, fügte Siggi sinnfrei hinzu.
»Praktikantin!«, bestätigte ich, einigermaßen lapidar.
»Sie möchten bitte zurückrufen, Herr Litten.«
Oh ja, natürlich sollte ich zurückrufen, aber ich wollte nicht. Ich gehöre nämlich noch zu der Kategorie von Menschen, für die das Leben nicht eine einzige Rückrufaktion ist.
Ansgars Telefon klingelte.
»Paul? Für dich. Masuch!«
Lächelnd reichte er mir den Hörer weiter. Ich nahm ihn. Erhaben noch im Moment der Niederlage.
»Ja, Litten, hier«, frohlockte ich ins Telefon.
»Wollte nur schnell Bescheid geben. Würzburg brennt!«
»Was?«
Für einen Moment schaute ich zu erregt, als dass Ansgar es hätte übersehen können.
»Was passiert?!«, flüsterte er mir von seinem Schreibtisch aus zu.
Ich wedelte die Besorgnis flatterhaft hinweg.
»Warum?«, fragte ich Masuch.
»Warum, Mensch, Litten, warum?!
Die Messias
! Geht ab wie ’ne olle Pershing. Respekt! Müssen beizeiten mal über Geld sprechen. Warten wir mal noch Barbara Freitag ab, dann aber.«
Während ich versuchte gedanklich zu ergründen, ob die Pershing nicht nur abging, sondern auch Kollateralschäden in Würzburg und Umgebung hinterließ, registrierte ich Ansgars neugierigen Blick. Mein Kollege hatte sich durch mein Wedeln nicht ablenken lassen. Seine Sensoren waren fein genug, um hinter meiner behaupteten Bedeutungslosigkeit Großes zu erkennen. Er war weiterhin genauso interessiert an meinem Gespräch mit Masuch wie Frau Löffler, die mit einem Stenoblock im Türrahmen stand, bereit, das Geschehene für die Nachwelt zu erhalten oder zumindest für die treue Leserschaft von Muenden und Umgebung.
»Und viel Spaß mit Dana!«
»Klar!« Masuchs Betonung von Spaß hatte etwas leicht Anrüchiges. »Und wegen der anderen Sachen telefonieren wir dann nochmal, ja?«
»Mensch, Litten, klar, wann immer du willst. Ich melde mich!«
Klack. Weg! Er meldet sich, wenn ich es will. Klar! Sehr schön, sauber. Ansgars beharrliche Neugierde, Frau Löfflers waffenähnlich gezückter
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