Neu-Erscheinung
die Knie fallen. Natürlich sind sie so auch wesentlich interessanter für die fotografierenden Touristen.
»Sie sind wegen Euch gekommen!«
»Resi, wenn du mich noch einmal im Plural ansprichst, dann ...«
»Ja?«
»Ach, vergiss es.«
»Sollen wir zu ihnen gehen?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Frag nach einem Hinterausgang, und zwar schnell!«
Ich hätte Greetsiel liebend gerne eine Chance gegeben. Aber Greetsiel gab mir keine Chance. Und ich bitte jetzt nur noch um eins, dass einer von diesen verdammten Krabbenkuttern auch wirklich fahren kann, ganz weit raus aufs Meer.
»Resi? Ich hoffe, du bist seetüchtig!«
»Wollt Ihr übers Wasser laufen?«
»Resi, das war dein letzter Plural!«
Ich und Ansgar und ein erregter Arzt
Die Hütte im Brömeler Forst lag in Sichtweite vor uns. Es war seltsam still. Ein paar Vögel demonstrierten lautstark ihre natürliche Ignoranz gegenüber dem Entführungsopfer, und wir wunderten uns nur, warum der Entführte sich nicht die Lunge aus dem Hals schrie.
»Vielleicht ist ihm was passiert?«, fragte Ansgar.
»Was soll ihm passiert sein, Heimwehschock?!«
»Paul! An seiner Stelle würde ich wahnsinnig werden. Ich würde abdrehen, die Angst vor dem, was kommt, die bringt einen doch um.«
»Ansgar, das ist aber jetzt mal so gar nicht der richtige Moment, um Mitleid zu haben. Bist du dir denn sicher, dass du richtig recherchiert hast?«
Ansgar nickte und war wieder voll und ganz bei sich. So sollte es sein.
»Absolut. Wie gehen wir denn jetzt vor?«
»Wir gehen da rein und dann ...«
»Wie, wir gehen da rein ... die Frage muss doch wohl lauten: Wie gehen wir da rein?«
»Durch die Tür?«
»Paul, meinste, der lässt uns seelenruhig durch die Tür spazieren? Der haut uns sofort was auf die Mütze.«
»Wenn er überhaupt noch da ist?«
Ich konnte auch gute Fragen stellen, so richtig aus der großen Abteilung für destruktive Motivation.
»Der kann da nicht raus.«
Und jetzt lächelte Ansgar sogar sein verschmitztes Lächeln, das ihm sonst nur gelang, wenn er mal wieder gelungen einen Bewirtungskostenbeleg so geschickt frisiert hatte, dass es niemandem auffiel.
»Nicht in diesem Leben«, ergänzte der Lächler.
»Die Hütte sieht nicht gerade aus wie der Tresorraum einer Bank.«
»Musste mal von innen sehen, keine Ahnung, was der Besitzer damit vorhat. Aber zum Jagen kommt der nicht hier hin.«
Jetzt machte er mich neugierig, ich verkniff mir aber jede weitere Nachfrage. Was auch besser war, denn schließlich war es für mich die erste Befreiungsaktion eines Entführungsopfers, und das auch mit freundlicher Unterstützung und Begleitung des Entführers. Für solche Aktionen braucht man einen klaren Kopf.
»Und?« Ansgar hielt mich ganz eindeutig für den erfahreneren Befreier, womit er leider nicht recht hatte.
»Keine Ahnung. Vielleicht sollten wir anklopfen?«
»Meinste?«
»Nee, dann hat er Zeit, sich zu bewaffnen.«
»Ist ein Argument.«
»Wir schleichen uns ran und checken die Lage.«
Ansgar nickte knapp und begab sich auf eine seltsame Kriechgangposition. Die ersten Meter in Richtung Hütte watschelte er wie eine Ente mit Ischiasproblemen. Er hielt dies für die einzig richtige Möglichkeit der Fortbewegung. So stellt sich nun mal ein Kulturredakteur die Annäherung an eine Hütte mit einem Entführungsopfer vor. Da ich, zumindest was das anging, tatsächlich über mehr Erfahrung verfügte, verhielt ich mich völlig anders. Mein kleiner Wissensvorsprung stammte aus unzähligen
Tatort
-Folgen und Hunderten von DVDs. Der Geist von Bruce Willis war in mich gefahren, und entsprechend sah mein Gang aus.
So schlichen, mehr oder minder professionell, eine Ente und eine leicht übergewichtige Actionheldkarikatur zur Hütte.
Während der Wald einen morbiden Humusduft verströmte, blies die Hütte ein frisches Holzimprägnierungsaroma in die Tannen. Die Fensterläden waren verschlossen, und nicht der kleinste Spalt gab die Möglichkeit, etwas vom Inneren zu erspähen. Ansgar und ich pressten unsere Ohren an die Bretterwände, aber außer dem hektischen Schaben und Nagen eines Borkenkäfers drang kein Laut aus der Hütte.
»Und wenn er tot ist?«, fragte Ansgar, jetzt schon deutlich besorgter.
»Dann hast du ein Problem.«
»Scheiße.«
»Mach dir nicht ins Hemd.«
»Du hast gut reden.«
»Stimmt.«
»Und jetzt?«
»Keine Ahnung.«
Wir lauschten weiter, so als ob sich dadurch automatisch was verändern würde. Aber auch nach längerem Lauschen ergab
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