Neu-Erscheinung
Meister oder Meisterin!«
»Du bist die Tochter Gottes, ich kann dich doch nicht einfach normal ansprechen.«
»Resi, wie lange kennen wir uns jetzt schon?«
»Mir kommt es vor wie eine Ewigkeit, Mei ... – Hannah!«
Dieses junge Ding ist mehr als ein Problem, Resi ist eine Herausforderung, und ich zweifele mit jeder gemeinsam verbrachten Sekunde mehr daran, dieser Aufgabe jemals gerecht zu werden.
»Hannah? Darf ich dich was fragen?«
»Bitte, gerne.« Wenigstens stimmt jetzt schon mal die Anrede.
»Seit ich mit dir zusammen bin, interessiere ich mich nicht mehr für andere.«
»Das ist ein Fehler, eigentlich wäre es sogar besser, wenn du dich nur für andere interessierst.«
»Ich meine Männer.«
»Auch dafür.«
»Ich glaube, ich werde ein Enthaltsamkeitsgelübde ablegen.«
»Warum?«
»Das macht man doch so.«
»Wer macht das so?«
»Na, alle. Du doch auch!«
Jetzt müsste ich ihr eigentlich was erklären, habe aber keine Lust dazu, ich will frühstücken, ich will meine Ruhe haben und auf keinen Fall über eines meiner größten Probleme reden. Schon gar nicht in einem Dorf, in dem jeder zweite Mann ein blauweißes Fischerhemdchen trägt.
»Ich möchte mich voll und ganz unserer Mission widmen.«
»Resi, wir haben keine Mission. Wir sind auf der Flucht.«
»Aber die Enthaltsamkeit wird mir dabei helfen.«
Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Mehr und mehr glaube ich, dass Resi Hilfe braucht. Schlimm genug, wenn kranke Menschen Visionen von Gott haben, aber noch schlimmer erscheint es mir jetzt, zu sehen, was mit Menschen passiert, die keine Visionen haben, sondern eine ganz konkrete Erfahrung, wie in meinem Fall.
»Ich will dir was sagen, sobald der erste Mann auftaucht, der dich interessiert, hast du eine neue Mission.«
»Auf keinen Fall, ich werde Euch ... dich nie verlassen. Und schon gar nicht für einen Mann.«
»Resi, Enthaltsamkeit ist keine Tugend, sondern nur ein Mangel an Gelegenheiten.«
Meine Worte prallen an ihr ab. Es hat keinen Sinn.
Resi und ich frühstücken. Das heißt, ich versuche es, während Resi mich dabei beobachtet, in der Hoffnung, etwas von mir aufzuschnappen.
»Resi, ich kann nicht essen, wenn du mich die ganze Zeit anstarrst.«
»Es tut mir leid, Meister.«
Ich kann nicht mehr. Zum ersten Mal behandelt mich jemand tatsächlich wie die Tochter Gottes. Mit allem Respekt. Mit untertänigster Grundhaltung. Und einer Erwartung, die ich weder erfüllen kann noch erfüllen will. Die Zeitung mit dem abgegriffenen Zeitungsstock erscheint mir wie gerufen. Ich errichte einen Schutzwall aus Schlagzeilen und schlechten Schwarzweißfotos zwischen mir und Resi. Dass sie mich weiterhin fixiert, um auch ja nichts zu verpassen, eine kleine Bergpredigt, ein kleines Wunder, wie die Teilung des Kaffees, nehme ich in Kauf. Habe ich eine andere Wahl?
Resi schweigt und glotzt. Und ich habe meine Ruhe. Werde ich den Rest meines Lebens hinter Zeitungen verbringen müssen. Die Frage verfolge ich nicht weiter, denn Resi beginnt sich zu räuspern. Ich ignoriere es und rühre in meinem Kaffee herum. So laut, dass alle anderen Geräusche überdeckt werden. Das Räuspern bleibt. Ich rühre nicht mehr, ich schlage den Löffel an den Tassenrand. Resi räuspert sich noch lauter. Jetzt müsste ich die Tasse an die Wand werfen, um zu gewinnen. In diesem Moment entdecke ich einen kleinen Finger am oberen Ende meines gedruckten Schutzwalles. Der Finger drückt den Schutzwall mit sanfter Gewalt nach unten.
»Resi, ich würde gerne die Zeitung lesen.«
Resis Kopf zuckt nach rechts, in Richtung Fenster. Ich folge ihrem Blick und erstarre. Vor dem Fenster steht die Detmolder Hannah-Gruppe. Noch immer in geschlossenem Gruppenweiß, mit seltsam verdreckten Knien. Mein Schutzwall sinkt auf den Tisch. Das darf doch alles nicht wahr sein.
»Sie sind uns gefolgt«, bemerkt Resi mit sichtbarem Glücksgefühl.
»Sie sind uns gefolgt«, bestätige ich mit fassungslosem Entsetzen.
Eine der Detmolderinnen verneigt sich vor uns, eine andere macht eine seltsame Winkbewegung zu ihrer Rechten. Ich verstehe nicht, was das soll, werde mir aber in diesem Moment des ganzen Ausmaßes dieser extrem peinlichen Darbietung bewusst. Denn nun schieben sich weitere Aktivistinnen ins Bild, meiner groben Schätzung nach zwischen 12 und 18 . Allesamt komplett in Weiß, alle mit weißen Knien. Was sich in dieser Sekunde ändern wird. Denn wie auf einen geheimnisvollen Befehl hin lassen sich nun auch die Neuen auf
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