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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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überleben. Sie trank in der Küche eine Tasse Bohnenkaffee, genoss den unvergessenen Duft von Plätzchen im Herd und den Anblick von fünf vergoldeten Walnüssen in einer kobaltblauen Schale, die sie noch aus dem Sternberg’schen Haushalt kannte. »Vorsicht, Vickylein, wenn die Mutti sieht, dass du deine Puppe in die gute Schale gesetzt hast, gibt’s ein Donnerwetter, das sich gewaschen hat.«
    Von Anna ließ sie sich überreden, den Gewürzkuchen zu kosten, obgleich sie es nicht mochte, wenn jemand um ihretwegen einen frischen Kuchen anschnitt. Später zeigte ihr Anna das neu gestrichene Zimmer. »Dein Zimmer«, sagte Anna, als wäre es selbstverständlich, dass eine alte Frau ein eigenes Zimmer hatte. Ein Geschenk direkt vom Himmel war der weiße Schrank; er reichte fast bis zur Zimmerdecke und hatte oben zwei große Fächer, um Dinge zu lagern, die man nicht täglich brauchte. Hans hatte das Prachtstück für fünfzehn Mark einem Gebrauchtwarenhändler abgehandelt.
    »So viele Kleider habe ich überhaupt nicht«, erkannte Josepha. »Ich habe noch nicht mal einen Wintermantel. Nur eine Jacke, die aussieht wie früher die Bettdecken bei armen Leuten. Ach, Anna, die Welt ist plötzlich so groß geworden. Und ich so reich, dass es mich geniert. Das Auto, mit dem mich Erwin abgeholt hat, war riesig. Alles hat geglänzt. Wenn er auf die Hupe gedrückt hat, ist Musik rausgekommen, alle Autos auf der Straße haben uns Platz gemacht, die Leute haben den Mund aufgerissen und wie Dorfdeppen ausgesehen. Ich hab die ganze Zeit gedacht, ich träume. Wenn ich gewusst hätte, wie, hätte ich Gott gebeten, dass ich nicht mehr aufwache.«
    »Das hat noch Zeit, Josepha, merk dir das. Hans und der kleine Erwin sind gerade mit dem großen Erwin losgefahren, um den Wagen zu seinem Chef zurückzubringen«, erzählte Anna. »Sie wollten auch träumen. Ich gönne es ihnen von Herzen. Es hat so lange keine Männerträume gegeben.«
    »Doch«, wusste Josepha, »es hat immer Träume gegeben, aber nicht die richtigen.«
    Das Zimmer roch noch nach Farbe, die Wände hatten den gleichen rosa Hauch wie Apfelblüten im Frühling, auch die Fensterrahmen waren gestrichen, die cremefarbene Gardine mit dem breiten Volant sah genauso aus wie früher der Vorhang in Josephas Zimmer im vierten Stock. Auf einem hohen dreibeinigen Holzgestell mit einer Stellfläche aus hellgrünem Marmor, das Hans aus einem Trümmergrundstück im Baumweg geborgen und zwei Wochen lang in jeder freien Minute aufgearbeitet hatte, stand eine geblümte Waschschüssel mit passendem Krug. Anna hatte Krug und Schüssel schon zu Anfang des Krieges gegen ihren großen Einmachtopf eingetauscht, denn sie hatte sich beizeiten vorgestellt, dass es bald kein Obst zum Einmachen geben würde.
    »Ich könnte schwören, die Schüssel hat in der alten Dienstmädchenkammer bei der Hanna gestanden. Die aus dem Odenwald, die im Ersten Weltkrieg so Hals über Kopf geheiratet hat, weil ihr Bräutigam an die Front musste. Sie ist dann auch Hals über Kopf Witwe geworden. Die Schüssel hat sie sowieso nicht gebraucht. Sie hat sich doch nur sonntags gewaschen.«
    »Du hast vielleicht ein gutes Gedächtnis«, sagte Anna, »da kann sich mancher eine Scheibe abschneiden. Erkennst sogar die Schüsseln von früher.«
    »Unser Herr Sternberg hat ja nie lange gefackelt, wenn er was Gutes und Schönes gesehen hat«, erzählte Josepha. »Selbst bei den Dienstmädchenzimmern hat er nicht gespart. Er war ein feiner Mann, und er würde sich ein Loch in den Bauch freuen, wenn er sehen könnte, dass die alte Josepha sich in seiner schönen Schüssel wäscht.«
    »Du musst dich ja nicht immer auf deinem Zimmer waschen. Aber wenn du morgens deine Ruhe haben willst, ist das besser. Die Kinder trödeln so. Unsere Wohnung hat ja ein richtiges Badezimmer, nicht nur eine Badewanne mit Kohleofen hinter dem Schlafzimmervorhang, wie wir das in der Thüringer Straße hatten.«
    »Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich in diesem Leben noch mal zu einer eigenen Waschschüssel in einem eigenen Zimmer komme«, malte sich Josepha aus, »dem hätte ich mit allen zehn Fingern einen Vogel gezeigt. Im Heim hatten sie das Waschzimmer auf dem Flur, es gab nur eine Wannenbenutzung pro Woche, und die Wanne war so rostig wie früher noch nicht mal unsere Gartenschaufel. Morgens haben wir uns zu bestimmten Zeiten waschen müssen. Ich war früh um Viertel nach sechs dran. Die ganzen sechs Jahre lang.«
    »Das war aber hart. Konntest du

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