Neubeginn in der Rothschildallee - Roman
zur Kommunion geht?«
»Quatsch. Früher hätte ich mich vielleicht auch mit einem nichtjüdischen Schwiegersohn abgefunden, wenn meine Tochter ihn geliebt und er mich überzeugt hätte. Doch nach dem, was in Deutschland geschehen ist, kann man nicht mehr sagen ›Man liebt nur einmal‹ und das Aufgebot bestellen.«
»Siehst du«, sagte Clara. »Da sind wir endlich einer Meinung.«
»Stell dir vor, man sitzt bei der Hochzeit mit der neuen Mischpoche am Tisch, und die ganze Zeit fragt man sich, was die wohl in der Nazizeit gemacht haben, und ob der Brillantring, den die Schwiegermutter am Finger hat, und die wertvolle Kette, die die neue Schwägerin deiner Tochter trägt, früher vielleicht ihren jüdischen Nachbarn gehört haben.«
»Leider«, erzählte Clara, »stelle ich mir solche Fragen bereits, wenn ich einkaufen gehe. Bleiben wir lieber beim Thema, sonst packt mich das heulende Elend. Fritz, du musst doch gemerkt haben, dass Fanny den Jungen liebt. Pardon: den Mann, natürlich. Überzeugender als dieser rücksichtsvolle, gebildete und familienbewusste Don Juan aus Montevideo, der die richtige Konfession hat und altersmäßig auch zu Fanny passt, wenn auch nur mäßig nach deinen Vorstellungen, kann ein Mann doch gar nicht sein. Du kannst ihn nicht dafür verantwortlich machen, dass das Schicksal ihn nach Uruguay und nicht nach Hanau verschlagen hat.«
»Das stimmt ja alles, trotzdem …«
»Nichts trotzdem. Don Juan liebt Ihre Tochter, Herr Dr. Feuereisen. Das hat Amor beschlossen und verkündet, und mit dem war noch nie gut handeln. Es hilft auch nicht die Bohne gegen Vaterleid und Männereifersucht, wenn du dir den dritten Schnaps einschenkst. Gib mir lieber einen zweiten Kuss.«
»Ach, Clara, wenn meine Tochter nur halb so viel Glück in der Liebe hat wie ihr Vater, dann gebe ich mich zufrieden. Zufrieden und geschlagen.«
»Wenn ich nur wüsste, ob du von der Gegenwart sprichst.«
»Ja. Ich gestehe alles. Aber nur vor dir und Gott.«
Fanny und Don Juan planten ihr Kinoprogramm sorgfältig und immer gemeinsam. »So kann keiner dem anderen Vorwürfe machen«, hatte Don Juan beim ersten Mal erklärt, »wenn er sich im Kino den Kiefer ausrenkt, weil er in einer Tour gähnen muss, oder wenn er vom Stuhl fällt, weil er sich zu Tode gelangweilt hat. Ich weiß, wovon ich rede. Als wir nach Montevideo kamen und ich die Sprache nicht konnte, habe ich so viele langweilige und niederdrückende Stunden im Kino verbracht, wie ich sie meinem ärgsten Feind nicht wünsche. Ich habe mir damals vorgestellt, eine fremde Sprache lernt man am besten im Kino. Mein letztes Geld ist dabei draufgegangen, aber die Rechnung ging auf. Meine Schwester ist vor Neid geplatzt.«
»Du hast doch ganz schnell Portugiesisch gelernt. Das hast du mir mal am Anfang erzählt.«
»Spanisch, liebste Fanny. In Uruguay spricht man Spanisch. Das wirst du auch lernen müssen. Ganz schnell.«
»Warum? Ich meine, wozu?«
»Dreimal darfst du raten, mein Fräulein. Warst du als Kind schon so kokett?«
»Ich war nie ein Kind.«
»Verzeihung. Ich bin ein taktloser Esel.«
»Der Apfel ist ab« hatte Fanny ausgesucht. Seitdem Don Juan in ihr Leben gestürmt war, las sie Theater- und Kinokritiken; von »Apfel ist ab« hatte der Rezensent geschwärmt, der Film wäre geistreich, hintergründig und die erste »wirklich originelle deutsche Nachkriegsproduktion«. Clara hatte Fannys kluge Wahl, ihre Großmutter ihren guten Geschmack gelobt, doch nur weil ihr rechtzeitig aufging, wie sehr sich der Mann an ihrer Seite amüsierte, bedauerte sie ihre Wahl nicht. Sie hatte Mühe, die Traumszenen um den Mann, der sich für zwei Frauen entschieden hatte und dann den seelischen Strapazen seiner Doppelbelastung nicht gewachsen war, und die Filmwirklichkeit auseinanderzuhalten. Über einige Pointen, die die Zuschauer laut bejubelten, musste sie so lange nachdenken, dass ihr die darauffolgende entging. Für die geistreiche Sprache, die dem Kritiker gefallen hatte, war sie nicht belesen genug, im Kabarett war sie nie gewesen, auch nicht in einer Revue. Satire war ihr fremd, und weder die Filme, die Helmut Käutner gedreht hatte, noch Bobby Todd oder Bettina Moissi, die die weibliche Hauptrolle spielte, waren ihr ein Begriff.
Als Don Juan sich vor dem Kino eine Zigarette anzündete und begeistert: »Das war wahrhaftig ein Volltreffer« sagte und Fanny im Schein der Laterne sah, dass seine Augen glänzten, war sie trotzdem bester Laune. Sie wärmte sich an
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