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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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die Urgroßmutter das ungewöhnliche Kind.
    »Wenn du ihr so was einredest, wird sie nie ihre Angst überwinden«, protestierte Claudette. »Ich war genauso. Du musst ihr die Dinge erklären, vor denen sie Angst hat. Sonst bekommt sie Komplexe und traut keinem.«
    »Wetten, dass meine Urenkelin nicht mal halb so kompliziert ist, wie sie ihre Mutter macht? Ich bin ganz sicher, dass sie beizeiten begreifen wird, dass das Leben kein Kinderspiel ist. Letzten Endes hast du ja auch Fortschritte gemacht.«
    Sophies Affenschaukeln waren frisch geflochten; zu Josephas Empfang, von dem sie sich Kakao, Schokoladenkuchen und Schlagsahne am Nachmittag, Kartoffelsalat mit Würstchen am Abend und wenigstens zwanzig Pfennig für eine Zwei im Diktat versprach, hatte sie sich ihr dunkelblaues Sonntagskleid mit den Puffärmeln und dem gesmokten Oberteil weder von Vater noch Mutter ausreden lassen. Allerdings war sie trotz ihres Staats ungewohnt verlegen, als sie auf Zehenspitzen aus der Wohnung geschlichen kam. Sie zupfte an einer ungebärdigen Haarsträhne und vergaß auch noch, woran ihr Vater sie erst beim Frühstück erinnert hatte, »Willkommen zu Hause, Josepha« zu sagen.
    »Stumm wie ein Fisch«, bemerkte ihr Vater, »und dumm wie Bohnenstroh.«
    »Stimmt nicht«, wehrte sich Sophie.
    »Woher weißt du denn, dass du gemeint bist?«
    Lena, in der gleichen rotweiß karierten Schürze wie Anna, noch einen vom Teig verklebten Holzlöffel und den Metalleierbecher in der Hand, mit dem sie Plätzchen ausgestochen hatte, stand steif und ängstlich auf dem Fußabtreter vor der Wohnung. Plötzlich legte sie aber mit der ruckartigen Bewegung, die bei ihr neuerdings Überwindung anzeigte, Holzlöffel und Eierbecher neben das Plüschäffchen aufs Fensterbrett und ging – nun auffallend forsch – auf Sophie zu. »Los«, stieß sie die Freundin an, »du hast mir doch versprochen, es zu sagen.«
    »Was?«, fragte Sophie. Sie war noch nicht über den väterlichen Spott hinweg, doch schon wieder so weit, dass sie ansetzen konnte, verlorenes Terrain zurückzuerobern; sie tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und fragte mit dem Unschuldsblick, der alle außer ihren Eltern in die Irre führte: »Was meint das gute Lenakind denn?«
    »Das weißt du doch. Das mit O und M und A. Du hast doch gesagt, dass du sie fragen wirst. Du hast es mir versprochen. Dreimal hast du es mir versprochen. Einmal um Mitternacht. Mitternacht kannst du nicht zurücknehmen. Sonst holt dich der Teufel. Los, frag doch endlich.«
    »Du hast ja noch nicht gesagt, was ich sie fragen soll.«
    »Das weißt du doch. Ob sie mir gehören will, sollst du sie fragen. Ob ich ihr Enkelkind sein darf. Du hast ja eine Oma. Betsy ist deine Oma. Das sagst du immer, wenn ich sage, ich will auch was von ihr.«
    »Du spinnst ja«, entschied Sophie. »Ich habe dir gar nichts versprochen. Nichts, nichts, nichts. Kein bisschen von ihr habe ich dir versprochen. Warum soll ich sie dir versprechen? Sie zieht ja zu meiner Mutter. Nicht zu deiner.«
    »Sophie«, warnte Anna, »jetzt reicht’s. Aber ganz schnell. Sonst lernst du mich kennen. Du weißt genau, dass Lenas Mutter tot ist.«
    Es war, womit Sophie, die listenreiche Wortverdreherin nicht gerechnet hatte, die zurückhaltende Lena, die den Kampf gewann, und das um Längen. Lena, von der einzigen Freundin verraten, die sie je gehabt hatte, ließ sich keinen Augenblick von ihrer Enttäuschung und Verletztheit beirren. Stattdessen tat sie das, was ihr geliebter Großvater immer als »Nägel mit Köpfen machen« bezeichnet hatte. Sie ging auf Josepha zu und zupfte sie am Ärmel. »Die Sophie hat gesagt«, berichtete sie mit der festen Stimme derer, die sich im Recht wissen, »ich darf dich fragen, ob du meine Oma sein willst. Aber jetzt will sie, dass ihr alle denkt, ich lüge. Dabei hat Sophie einen Vater, eine Mutter und einen Bruder.«
    »Und sie hat dich«, polterte Hans. Die Hand, die er auf die Schulter seiner Tochter drückte, ließ keine Fehldeutung zu. »Und wenn das miese kleine Fräulein hier sich weiter blöd stellt und sich nicht mehr erinnern kann, was sie gesagt hat, hat sie bald auch eine dicke Backe. Geh du zu deiner Oma, Lena. Du hast sie dir verdient.«
    Dies war der Moment, in dem Josepha begriff, dass sie zu Hause war. Der Weg war lang gewesen, ihre Tränen würden nie versiegen, die Narben bleiben, die alte Kraft nicht zu ihr zurückkommen, aber am Tag ihrer Heimkehr wusste sie, dass es sich gelohnt hatte zu

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