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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Haus gepflückt hatte.
    »Wo sind denn die Nougateier, Josepha?«, fragte Erwin. »Du hast doch immer Eier auf meinen Geburtstagskuchen getan.«
    »Du garstiger Bub, bringst eine alte Frau um den Verstand und lachst. Wenn du das noch ein einziges Mal machst, bekommst du kein einziges Ei«, drohte Josepha beglückt.
    »Und wir«, entschuldigte sich Leon, »kommen mit leeren Händen. Und einem Stall voll missratener Bälger.«
    »Dass ihr hier seid, ist euer Geschenk«, sagte Clara, »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mit fünf Kindern eine solche Reise auf mich genommen hätte.«
    »Fünf Komma drei«, raunte Alice.
    Außer ihrer erstarrenden Mutter hörte sie niemand, denn in dem Moment, da Nesthäkchen, der schon als Kind Geständnisse zur falschen Zeit entschlüpft waren, ihrem Herzen Luft machte, klingelte es an der Haustür.
    »Kannst du mal runtergehen«, bat Fritz seine Tochter. »Das wird unser Gast sein, den holt man besser an der Haustür ab. Vielleicht kannst du ihn so schonend darauf vorbereiten, dass wir hier eine Menagerie haben. Sag ihm, er braucht keine Angst zu haben. Es wäre alles Mischpoche.«
    »Was soll das?«, brummte Fanny. »Seit wann kommen Leute zu uns, die uns nicht kennen?«
    Ihre Abwehr war nur Schein. Ihr fiel es nicht leicht, sich gut gelaunt und fröhlich zu geben und so, als hätte sie vergessen, was nicht zu vergessen war. Es drängte sie sogar, wenigstens für kurze Zeit der allgemeinen Heiterkeit, den Torten, dem Danziger Goldwasser, dem besorgten väterlichen Blick und den wachsamen Augen ihrer Großmutter zu entkommen. Sie war noch auf der Treppe, als der unbekannte Gast abermals schellte. Zweimal kurz und einmal lang. Als ob er zur Familie gehört, murmelte Fanny. Verärgert riss sie an der Haustür. Der weite Ärmel ihrer rotweiß gepunkteten Bluse blieb an der Klinke hängen. »Scheiße«, fluchte sie.
    »Nicht so grob, Mademoiselle Feuereisen. Das hat die schöne Bluse nicht verdient.«
    Sie erkannte die Stimme, blickte erschrocken zu Boden, sah die gelbe Reisetasche und den braunen Koffer mit den bunten Aufklebern, stürzte in ein schwarzes Loch und flog jubelnd in die Höhe. Als sie sich endlich traute, ihn anzuschauen, sah sie, dass er Augen hatte, in denen Sterne funkelten. Die Arme, die er nach ihr ausstreckte, wurden von Sekunde zu Sekunde länger.
    »Das ist nicht wahr«, wehrte sie die Gespenster ab.
    »Doch«, sagte er.
    Es war nur ein Schritt, der die beiden voneinander trennte, aber beide waren sie am Boden festgewachsen. Der Schmerz nahm Fanny den Atem, ihre Augen konnten nicht halten, was sie sahen, und doch vergaß sie keinen hämmernden Herzschlag lang, dass sie auf der Hut sein musste, damit sie das Schicksal nicht narrte. »Nicht mit mir«, schluckte sie. »Es ist vorbei. Alles.«
    »Nicht weinen, Fanny. Es ist wirklich vorbei. Wir haben alle Zeit der Welt«, sagte Don Juan.
    »Wofür?«
    »Zum Leben. Für unsere Liebe. Ich war ein elender Trottel.«
    »Nein, ich.«
    »Der Trottel heißt es. Trottel sind immer männlich.«
    Sie kletterten über den Zaun in den Vorgarten, als wären sie Kinder und suchten ihren Ball; weil das Gras aprilnass war und der Boden um die Beete aufgeweicht, mussten sie stehen. Sie klammerten sich aneinander, ein jeder wärmte sich am Atem des anderen, und als sie ihre Augen aufmachten, sahen sie, dass der Fliederbaum schon Knospen hatte und die Krokusse buttergelb waren. Eine Amsel erzählte die uralte Geschichte, die nur die Liebenden verstehen.
    »Warum hast du mir nicht geschrieben, dass du kommst? Wenn ich gewusst hätte, dass du unterwegs bist, hätte ich mein Herz vorbereiten können. Es war gebrochen, und nun platzt es vor Freude, und ich weiß noch nicht mal, ob ich ich bin.«
    »Hauptsache, ich weiß, wer du bist. Es ging alles so schnell, Fanny. Ich bin geflogen. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich geflogen.«
    »Direkt hier in den Garten?«
    »Nein, erst nach Buenos Aires und von dort nach London. Von da mit dem Zug nach Harwich und dann rüber nach Hoek van Holland. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht kapiert habe, war das schneller, als in London auf das Flugzeug nach Frankfurt zu warten. Ich habe versucht, dich von dort anzurufen, aber es hat nicht geklappt.«
    »Also hat Großmutter doch nicht geträumt. Sie hat immerzu von einem Wasserkessel geredet.«
    Fanny nahm sich vor, Don Juan auf keinen Fall zu fragen, wie lange er in Frankfurt bleiben würde. Was bedeutete Zeit, wenn jede Stunde Glück war? Schweigen

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