Neubeginn in Virgin River
der Zwischenzeit kannst du auch die Lage peilen, wenn du das Baby mal als deine Patientin ansiehst. Schau, ob du etwas herausfinden kannst. Doc Mullins ist pfiffiger, als er zu sein scheint“, meinte June. „Er ist ein schlauer alter Fuchs. Sieh nach, ob er was im Ärmel versteckt hat.“
Mel umarmte June, während Jack beim Wagen wartete. „Danke für alles. Es war ein perfekter Tag.“
Auf der Rückfahrt nach Virgin River befand Mel sich in einer so ausgeglichenen Stimmung wie schon lange nicht mehr. Ihre Verbindung zu diesem Platz hier hatte sich mit den neuen Freundschaften vertieft, und das lag nicht zuletzt daran, dass sie Jack akzeptiert hatten.
„Du bist ja ganz still geworden“, stellte Jack fest.
„Mir hat es so gut gefallen“, sagte sie verträumt.
„Mir auch. Nette Leute, deine Freunde.“
„Sie mögen dich auch. Wusstest du, dass Jim früher mal ein Cop war?“
„Ja, das habe ich mitbekommen.“
„Und John und Susan sind vor zwei Jahren aus der Stadt hierher gezogen. Und Eimer – der früher hier der Arzt war –, er ist wirklich zum Piepen. Ich bin so froh, dass wir zusammen dort waren.“
Sie fuhren schweigend weiter, bis sie sich Virgin River näherten. „Zu dir oder zu mir?“, fragte Jack.
„Würde es dir sehr viel ausmachen, wenn wir einmal eine Nacht aussetzen?“
„Du bekommst von mir, was immer du brauchst, Mel. Solange es kein Problem gibt.“
„Es gibt absolut kein Problem. Wirklich, ich habe mich noch nie so im Einklang mit mir und der Welt gefühlt wie jetzt. Ich dachte bloß, ich würde heute gerne nach Hause gehen, mich duschen und dann einmal wieder eine Nacht richtig gut durchschlafen.“
„Wie du willst.“ Über den Fahrersitz hinweg ergriff er ihre Hand. „Es liegt immer ganz an dir.“ Er führte ihre Hand an seine Lippen und drückte ihr zärtlich einen Kuss in die Handfläche.
Vor der Bar hielt er an, und sie tauschten die Plätze, damit sie nach Hause fahren konnte. Nach einem Gutenacht-Kuss verließ sie ihn und fuhr zu ihrem Waldhaus.
Als sie in die Lichtung vor dem Haus einfuhr, fiel ihr sogleich der große dunkle Range Rover auf, der dort parkte. Der Fahrer, der lässig an die Beifahrertür gelehnt dastand, schien auf sie zu warten. Es war der große Fremde mit der Baseballkappe und dem lockigen Haar. Während sie parkte, sah sie, wie er sich in voller Größe aufrichtete und die Daumen vorn in seine Hosentaschen hakte. Sie hatte ihn und sein Fahrzeug sofort erkannt. Es war der große Kerl, der vor ein paar Wochen vor der Praxis angehalten und ihr berichtet hatte, dass „jemand“ schwanger sei. Dann aber bemerkte sie etwas, das von seiner Schulter baumelte – eine große Waffe, das Halfter war mit Riemen am Oberschenkel befestigt. Seine Hände allerdings ruhten nicht darauf.
In einer Gegend wie dieser wusste sie nicht, was sie von jemandem halten sollte, der eine Waffe trug. In der Stadt wäre sie beim Anblick eines bewaffneten Kerls sofort in Deckung gegangen. Hier draußen auf dem Land aber musste das nicht unbedingt viel bedeuten. Sie könnte natürlich auf Nummer sicher gehen und versuchen, auf der Stelle wieder von hier wegzukommen, aber sie konnte noch nicht so gut mit dem Hummer umgehen. Abgesehen davon war dieser Mann ja auch schon einmal bei vollem Tageslicht auf sie zugekommen, um sich wegen einer Entbindung zu erkundigen. Sie parkte so, dass er im Licht ihrer Scheinwerfer stand. Er kam ihr einen Schritt entgegen, bevor sie die Tür öffnete und ausstieg. „Was haben Sie hier zu suchen?“
„Das Baby kommt.“
Egal wie die Umstände auch waren, bei diesem Satz geschah immer dasselbe – sie hörte auf, an sich zu denken, und hatte nur noch ihre bevorstehende Arbeit, die Mutter und das Kind im Kopf. „Das ging aber ziemlich schnell“, sagte sie.
„Nein, ich war ziemlich langsam“, entgegnete er. „Sie hatte es lange Zeit für sich behalten, und mir war nicht klar, wie weit sie schon war … Also, ich muss Sie mitnehmen, damit Sie ihr helfen.“
„Aber wieso sind Sie hierhergekommen? Warum sind Sie nicht in den Ort zur Praxis gefahren? Fast wäre ich heute Nacht gar nicht nach Hause gekommen …“
„Da habe ich ja Glück gehabt. Ich konnte nicht in den Ort fahren. Ich konnte das Risiko nicht eingehen, dass irgendjemand mit Ihnen kommen wollte oder Ihnen einreden würde, mich nicht zu begleiten. Bitte lassen Sie uns gehen.“
„Wohin?“
„Ich werde Sie fahren“, sagte er nur.
„Nein. Ich fahre hinter Ihnen her.
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