Neubeginn in Virgin River
dem sie sich den Rücken abstützen konnte. Draußen im Hof standen die Männer um den Hummer herum, alle hielten ein Bier in der Hand und blickten gelegentlich ins Wageninnere oder unter die Motorhaube.
„Ein ziemlich attraktiver Mann, den du da mitgebracht hast“, bemerkte June.
Mel sah zu ihnen hinüber. Jim und Jack waren in Größe und Gewicht ungefähr gleich. Beide trugen sie Jeans, Holzfäller- oder Jeanshemd und Stiefel. John, der mit einer respektablen Größe von eins zweiundachtzig nur wenig kleiner war als die beiden, war mit Khakihose und Polohemd nicht ganz so lässig gekleidet, aber auch er sah verdammt gut aus. „Seht sie euch an“, sagte Mel. „Sie könnten Werbung machen für das Virility Magazine. Mutter Natur hat es wirklich gut mit ihnen gemeint.“
„Mutter Natur ist ganz schön pervers“, jammerte Susan und krümmte sich. „Hätte sie auch nur einen Funken Mitleid, würden unsere Schwangerschaften nur sechs Wochen dauern. Wetten, dass das Vater Natur war? Der Fiesling.“
„Unbequem, hm?“, fragte Mel.
„Ich habe ziemlich heftige Rückenschmerzen. Der Tag ist viel zu schön dafür, um dermaßen schwanger zu sein!“
„Es ist nett bei dir, June, danke für die Einladung“, sagte Mel. „Wenn es das schon für die arme Susan nicht ist, ich fühle mich sehr entspannt und stressfrei. Führen alle im Tal hier so ein einfaches, unkompliziertes Leben?“
Zu Mels Überraschung brach June in Lachen aus, in das auch Susan mit einfiel. Sydney, Susans siebenjährige Tochter, kam mit fliegenden blonden Locken durch die Tür geschossen und rannte mit Sadie, Junes Collie, die Stufen hinunter, die im Hof hinter ihr herjagte. Sie lief zu ihrem Dad, umklammerte einen Moment lang sein Bein, bevor sie wieder mit dem Hund im Schlepptau im Hof herumrannte.
„Was gibt’s da zu lachen?“, fragte Mel.
„Man kann eigentlich nicht behaupten, dass die Dinge hier sonderlich unkompliziert sind. Vor zwei Jahren noch war ich mir ziemlich sicher, dass ich niemals heiraten, geschweige denn ein Baby haben würde.“
Das veranlasste Mel, ganz schnell auf ihrem Stuhl nach vorne zu rutschen. „Mir kommt es vor, als ob du mit Jim schon seit Ewigkeiten zusammen bist.“
„Es ist gerade erst etwas mehr als ein Jahr her, dass er spät nachts zu mir in die Praxis kam, weil er Hilfe für einen angeschossenen Kollegen suchte. Und jetzt ist Jim Gesetzeshüter im Ruhestand. Aber als ich ihn kennenlernte, war er ständig unterwegs und immer mit irgendeinem Fall beschäftigt. Meistens kam er erst spät nachts in mein Schlafzimmer geschlichen. Eine ganze Weile habe ich ihn mir als mein kleines Geheimnis bewahrt, bis dann mein Bauch anfing, dicker zu werden.“
„Nicht möglich.“
„Oh, doch. Kein Mensch im Ort wusste, dass es überhaupt einen Mann in meinem Leben gab, und dann bin ich plötzlich schwanger. Und nicht nur ein bisschen, denn als ich es begriffen hatte, war ich schon ganz schön weit. Verheiratet sind wir erst seit ein paar Monaten. Wir haben es nicht geschafft, bevor das Baby kam.“
„In so einem kleinen Ort?“ Mel war völlig verblüfft.
„Die Leute haben sich sehr diskret verhalten. Ich meine, wir hatten auch eine Überschwemmung, eine Zeit lang waren wir ohne Priester, und dann gab es noch eine riesige Drogenrazzia da draußen in den Wäldern. Eins kam zum anderen. Vermutlich lag es auch daran, dass sie alle Jim so schnell sympathisch fanden. Aber meinen Vater hätte fast der Schlag getroffen.“
„Vielleicht ja auch deshalb, weil Jim zu dir ins Haus gezogen ist und dich nicht mehr aus den Augen lassen wollte, bis du dich bereit erklärt hattest, ihn zu heiraten“, ergänzte Susan.
„Ich habe lange Zeit allein gelebt“, fuhr June fort. „Deswegen hat mich die ganze Sache etwas nervös gemacht. Immerhin waren wir ja noch nicht lange zusammen – und weiß Gott, auch nicht sehr oft miteinander im Bett. Keine Ahnung, wie ich so schnell schwanger werden konnte.“
„Nein. Natürlich weißt du, warum.“ Susan klopfte sich auf den stattlichen Bauch, dessen Inhalt schon bald nach frischen Windeln schreien würde. „Wir haben uns lange Zeit darum bemüht, Sydney zu bekommen. Tatsächlich war dann auch ein wenig Hilfe nötig. Ich wurde einfach nicht schwanger.“
Zu gegebener Zeit würde Mel sicher gerne mitreden und auch ihre Geheimnisse preisgeben. Vorläufig jedoch wollte sie einfach nur zuhören.
„Und dann hatten John und ich einen enormen Streit“, erzählte Susan weiter.
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