Neubeginn in Virgin River
sich alles andere als gut an. Er nahm das Bild in die Hand und betrachtete das Gesicht des Mannes. Du also bist dieser Kerl, dachte er. Wie ein schlechter Mensch sah er gar nicht mal aus – aber er hatte Mel irgendetwas angetan, das war klar. Irgendetwas, mit dem sie nur schwer fertig wurde. Vielleicht hatte er sie wegen einer anderen Frau verlassen, obwohl Jack sich das kaum vorstellen konnte. Möglicherweise auch wegen eines anderen Mannes. Oh, bitte, lass es das sein! Das kann ich heilen – gib mir nur fünf Minuten. Vielleicht sah er aber auch nur so harmlos aus und war in Wirklichkeit ein unmöglicher Mistkerl, sodass sie mit ihm Schluss gemacht hatte, obwohl sie noch immer hoffnungslos in ihn verliebt war. Und dann hatte sie sein Bild direkt dorthin gestellt, wo sein Gesicht das Letzte war, das sie sah, bevor sie nachts einschlief.
Irgendwann würde sie Jack eine Chance geben, dieses Gesicht verschwinden zu lassen. Heute Nacht aber würde es nicht sein. Wahrscheinlich war es auch gut so. Wenn sie aufwachte und ihn hier vorfände, würde sie vermutlich alles auf den Crown Royal schieben. Er wollte, dass es aus Sehnsucht geschah – und er wollte, dass es echt war.
Schnell schrieb er ihr eine Nachricht. „Morgen früh um acht komme ich nach dir sehen. Jack“. Den Zettel legte er neben die Kaffeekanne und ging dann zu seinem Truck, um noch etwas zu holen, das er tagsüber für sie gekauft hatte. Er brachte die Sporttasche aus Leder mit der zerlegten Fliegen-fischrute, der Spule und der Watthose ins Haus und stellte sie neben die Eingangstür. Dann fuhr er nach Hause.
Als er um acht Uhr morgens wieder an ihrem Haus vorfuhr, musste er über das, was er sah, schmunzeln. Alle Gedanken der Enttäuschung, die ihn während der vergangenen Nacht geplagt hatten, waren wie weggeblasen. In ihrer neuen Watthose saß Mel auf der Veranda in dem Adirondack-Stuhl und warf müßig ihre Fliege vor sich hin in das Grundstück. Auf dem breiten Stuhl neben ihr stand eine dampfende Kaffeetasse.
Grinsend stieg Jack aus dem Truck. „Du hast sie also gefunden“, sagte er auf dem Weg zur Veranda.
„Ich liebe sie! Hast du die für mich besorgt?“
„Das habe ich.“
„Aber warum?“
„Wenn wir angeln gehen, muss ich neben dir stehen und nicht hinter dir, wo ich dein Haar riechen und dich an mich drücken kann. Du brauchst deine eigenen Sachen. Wie passt dir die Hose?“
Sie stand auf und drehte sich für ihn um die eigene Achse. „Perfekt. Ich habe gerade geübt.“
„Schon Fortschritte gemacht?“
„Das habe ich. Es tut mir leid, Jack, wegen gestern Abend. Den ganzen Tag über war ich angespannt und hungrig und habe gefroren. Es hat mich wirklich umgeworfen.“
„Ja, ist schon in Ordnung.“
„Die sollte ich wohl in meinen Kofferraum legen, hm? Falls in der Praxis mal nicht viel los ist und wir uns einfach davonstehlen und angeln gehen können.“
„Eine gute Idee, Mel.“
„Dann will ich meine Ausrüstung mal verstauen“, sagte sie glücklich.
Und er dachte: Gib mir nur Zeit. Ich werde dafür sorgen, dass du dieses Bild einmottest.
In der Woche nach Connies Herzinfarkt war Ricky nicht in die Bar gekommen, sondern war für die Familie da, für den Fall, dass er gebraucht wurde. Als er dann wieder einmal in die Bar kam, war es schon spät. Nur zwei Männer saßen an einem Tisch, und Preacher stand hinter dem Tresen. Mit gesenktem Blick setzte Ricky sich an die Bar.
„Wie geht’s denn allen so?“, fragte Preacher.
Er zuckte die Schultern. „Ich glaube, Connie geht es ganz gut. Sie haben Liz wieder nach Eureka zu ihrer Mutter geschickt.“
„Eureka ist nicht aus der Welt, Mann. Du kannst sie dort besuchen.“
Ricky senkte den Kopf. „Ja, aber … wahrscheinlich sollte ich das lieber nicht tun. Sie war … sie war das erste Mädchen, für das ich solche Gefühle hatte.“ Er sah auf. „Du weißt schon. Solche Gefühle.“
Die beiden Männer standen vom Tisch auf und verließen die Bar. „Und du warst dann kurz davor?“, fragte Preacher ihn.
„Ich wünschte, so wäre es. Lieber Himmel“, stöhnte Rick und schüttelte den Kopf. „Ich dachte, dass ich es unter Kontrolle hätte.“
Dann tat Preacher etwas, das er noch nie zuvor getan hatte. Er zapfte zwei kühle Biere und stellte eines vor Rick, eines vor sich hin. „Ganz schön harte Sache, das Ding mit der Kontrolle.“
„Was du nichts sagst. Ist das für mich?“
Preacher hob eine Augenbraue. „Ich dachte, du könntest vielleicht gerade
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