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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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machen.
    »Zuerst von hinten, die Hosen runter, in der Küche oder im Bad, im Bett is nich ihr Ding«, sagte Salwitzky, der still hielt wie beim Friseur. Ich solle anfangen. Er wolle erst mal sehen, was ich überhaupt könne. Ihm schien es nicht recht, mit mir reden zu müssen. Was es denn da zu verstehen gebe, fuhr er mich an, einen Fick solle ich beschreiben, von hinten, ohne Getue.
    »Und wie heißt sie?« fragte ich. Zuletzt ließ ich mir ihre Zweiraumwohnung beschreiben.
    Nach einer halben Stunde sollte ich vorlesen. Ulf Salwitzky beugte sich vor und ergänzte zum Beispiel »Arschklatschen, Arschklatschen!«. Dabei schaukelte sein Kopf hin und her. Er bewies durchaus Gespür. Ihm gefiel, daß Kerstin keine Zeit blieb, den Blumenstrauß in die Vase zu stellen, und nun der Blumenstrauß immer mit dabei war, zuerst störend, dann als unerwartete Steigerung. Salwitzky weihte mich in die nächste Stellung ein. Nikolai fragte, ob ich wieder »mit Blumenstrauß« plane.
    Nach einer Stunde übergab ich Salwitzky die Blätter zum Abschreiben. Auf Nikolais Zeichnung sah man, wie die Schweißtropfen von Kerstins wippenden Brüsten flogen. Ihr ganzer Körper war von Schallwellen umgeben, einfache, doppelte, dreifache Bögen, je nach Intensität der Bewegung. Salwitzky selbst war nicht geschönt, aber gerade dieser Realismus, mit dem Nikolai den zusammengepreßten Mund, den in den Schultern schmaler werdenden Oberkörper gezeichnet hatte, beglaubigte die Szene. Nur auf der letzten Zeichnung verklärten Gojko-Mitić-artige Züge Salwitzkys Gesicht. 183
    Ulf Salwitzky packte fünf Schachteln »Club« auf den Tischundverschwand grußlos. Nikolai nickte mir zu, setzte sein Käppi auf und ließ zwei Schachteln zurück.
    Dann erlebte ich, was es heißt, über Nacht berühmt zu werden, auch wenn ich im Schatten von Nikolai stand. Wie ein Bänkelsänger war Salwitzky von Stube zu Stube gezogen, hatte die Blätter vorgezeigt und meinen Brief verlesen. Den nächsten Auftrag erhielten wir am Nachmittag, und abends waren wir für die ganze Woche ausgebucht.
    Nikolai war der Star und ich sein Gehilfe. Nikolai nahm die Aufträge an, bestimmte die Konditionen und legte die Termine fest. Jedesmal bat er mich erneut um Mithilfe und bedankte sich mit gleichbleibender Liebenswürdigkeit für meine Bereitschaft.
    Ulf Salwitzky händigte uns so stolz wie ratlos den Brief seiner Frau aus, der damit schloß, wie sie ihren Mann am Schwanz hielt.
    Je näher die Entlassung der EK s rückte, um so mehr hatten wir zu tun. Vor allem Nikolai arbeitete bis zur Erschöpfung. Selbstverständlich befreite man uns von allen Diensten. Statt meiner zog Knut auf Wache.
    Als der Tag der Entlassung überstanden war, erhielten Nikolai und ich Ausgang. Er hatte das für uns arrangiert und ließ mich wissen, daß sonst niemand im Regiment »Freigang« habe, wie er es nannte, weshalb die Gaststätten halbwegs begehbar seien. Für mich war das Neuland.
    Schweigend liefen wir nebeneinander her. Der Weg in die Stadt war endlos. Unter diesen Umständen fühlte ich mich ihm ausgeliefert. Ja, mich ärgerte die Anmaßung, mit der Nikolai über mich verfügt hatte.
    Er lud mich ins »Gambrinus« ein und bestellte mit Zwiebeln und Käse überbackene Steaks, angeblich eine Spezialität des Hauses. Ich bestand auf Bier.
    Nikolai versuchte, das Gespräch in Gang zu bringen. Zuerst ging es um unsere Preise und darum, nicht mehr jeden Auftrag anzunehmen. Dann sprach er von seinen Plänen. Nach der Entlassung wolle er nach Armenien reisen, zu seinem Vater, einem Künstler. »Das will ich auch werden«, sagte er.
    »Was?« fragte ich.
    »Künstler«, erwiderte er und sah dabei aus wie ein weises Schaf.
    »Und ich Schriftsteller!« Ich grinste, als hätte ich einen Scherz gemacht.
    »Ich weiß«, sagte er und hob sein Kinn. »Das hättest du mal eher sagen sollen.«
    »Das hätte auch nichts gebracht«, erwiderte ich und ärgerte mich, weil ich damit anerkannte, daß er meine Gedanken erraten und womöglich schon damals die ganze Situation erfaßt hatte.
    »Ich habe nur darauf gewartet, daß du den Mund aufmachst. Knut ist der Spitzel.«
    »Warum Knut?« fragte ich.
    »Alle haben es gewußt, schon Tage vorher, verstehst du, es geschah mit Ansage. Wärst du wirklich ein Spitzel gewesen, hätte man dich gerettet. Aber offenbar paßte es denen da oben …« Nikolai blickte umher, als suchte er den Kellner.
    »Und was heißt, du hast darauf gewartet?« fragte ich. Er nahm das Glas, aus

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