Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
Vom Netzwerk:
Lachen bringt, obwohl niemand kapiert, was daran witzig sein soll.
    Mehrmals bewegte sich die Klinke vergeblich, bevor die Tür langsam aufschwang. Vom Baron sah man nur Beine und Stiefel, alles andere war ein Karton.
    Der Baron war glänzender Laune, begrüßte den Chef vom Dienst mit Herzlichkeit und schüttete sich dann aus vor Lachen, weil das »Käferchen«, die ihm auf der Treppe begegnet war, die anderen ausgesperrt hatte. Jörg lief nach unten.
    Ich half dem Baron, den Karton in den Nebenraum zu tragen. Er fragte, ob er die Sachen für ein paar Tage bei uns lassen dürfe, bis sein Büro fertig sei.
    Der Chef vom Dienst hatte sich erhoben, magisch angezogen von dem Markenzeichen auf dem Karton, einem angebissenen Apfel. Inzwischen war auch Jörg wieder heraufgekommen und mit ihm zwei Männer, ebenfalls schwer beladen.
    Der eine, Andy, ein Ami fast ohne Deutschkenntnisse, der andere unser Rechtsanwalt Bodo von Recklewitz-Münzner.
    Recklewitz haben wir es zu verdanken, daß wir in Sachen Pipping-Fenster ruhig schlafen können. Recklewitz’ Gesicht, aus dem die Nase spitz und schief hervorsticht, hat tatsächlich etwas Aristokratisches, sein Lachen ähnelt dem des Barons. Auch er verzieht jeweils nur die linke Mundhälfte. Andy, groß, breitschultrig, rotblond und blauäugig, lacht gern und laut. Seine Augen suchen ständig den Baron, weil der ihm hin und wieder etwas übersetzt. »Wie geht’s?« sagte Andy, drückte mir die Hand und schien in meinen Augen zu forschen. Der Chef vom Dienst sagte »How do you do?« und fragte mich leise: »Sie rüsten um?« Ich nickte.
    Jörg mußte auf der Treppe etwas gesagt haben, denn vonRecklewitz trat, sich die Hände reibend, vor den Chef vom Dienst und fragte, als erkundige er sich nach der Uhrzeit: »Sie wollen uns also brotlos machen?«
    Und Jörg, dankbar, sich beklagen zu können, petzte: »Entweder mit oder gegen uns. So ist es doch, das haben Sie gesagt!?«
    »So einfach ist es nun nicht«, verteidigte sich der Chef vom Dienst und zog seine Visitenkarte hervor. Während er die Geschichte unserer Freundschaft vortrug, waren Andy und der Baron nebenan damit beschäftigt, die Apparate aus den Kisten zu holen.
    »Und was wird aus unseren Investitionen?« blaffte Recklewitz und hackte mit der Nase in meine Richtung. Er war großartig. 184
    Der Baron bat uns herüber. »Das ist das Beste«, schwärmte er, »es gibt nichts Besseres … Sie sind aus der Branche?« Und als auch er eine Gießener Visitenkarte erhalten hatte, rief er: »Dann werden Sie das bestätigen?« Und der Chef vom Dienst bestätigte es umgehend. Sie selbst überlegten, ein paar »Apple« einzusetzen, in einigen Bereichen jedenfalls »mache das wohl Sinn«. Und allmählich wurde der Chef vom Dienst wieder zu jenem begeisterten Besucher, als der er sich im Februar über unsere Spiegel gebeugt hatte. Er hielt den Karton fest, als Andy den Bildschirm aus dem Kasten zog, räumte das Styropor zusammen, ließ sich keinen Kabelanschluß entgehen und betrachtete ebenso sorgenvoll wie Andy unsere Steckdosen.
    Sogar an Verlängerungsschnüre und eine Verteilerdose hatte der Baron gedacht. Nur Recklewitz drängelte, er hatte Hunger. Wir verzogen uns mit ihm nach oben. Kurt bot Recklewitz etwas aus seiner Brotkapsel an. Recklewitz dankte irritiert. Er habeso viel vom hiesigen Mutzbraten gehört (auch er sprach es falsch aus), daß er sich lieber noch etwas beherrschen wolle. Kurt klappte die obere Scheibe zurück, zeigte eine dicke Schicht Landleberwurst vor und biß dann selbst hinein.
    Solltest Du jemals Bodo von Recklewitz-Münzner kennenlernen, so wirst Du sehen, daß er seinem Namen alle Ehre macht. Zuerst ist er ganz der Herr von Recklewitz, der nur über den Wassergraben seiner Burg hinweg Befehle erteilt. Ja, man merkt seinen Augen und Schläfen die Kopfschmerzen an, die es ihm bereitet, wenn sich jemand zu ihm setzt, statt in einigen Metern Abstand auf seinen Wink zu warten. Hat er sich dann erst einmal geordnet, den Blick von einem fernen Horizont zurückgeholt und den inneren Widerstand, den jede neue Berührung mit der Welt in ihm hervorruft, überwunden, wird aus dem Herrn von Recklewitz mit jedem Wort, mit jeder Erläuterung und Anmerkung mehr und mehr der hilfsbereite Herr Münzner, der uns zukünftig mit Rat und Tat zur Seite stehen wird. Wir zahlen ihm sechshundert Mark pro Monat und können ihn dafür jederzeit und mit allem in Anspruch nehmen – nur Fahrtkosten sind extra. Damit sei er, vor

Weitere Kostenlose Bücher