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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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allem aber seien seine Klienten mit dieser Regelung stets gut gefahren. Nur sollten wir nicht den folgenschweren Fehler begehen, Recht und Gerechtigkeit miteinander zu verwechseln. Er sei für das Recht zuständig, dafür, recht zu bekommen.
    Und plötzlich, nachdem der Vertrag unterschrieben war, lachte uns linksseitig unser alter Schulfreund Bodo an, mit dem zusammen wir jetzt was Gutes essen würden.
    »Wir müssen da schleunigst runter«, rief er, »von allein werden die nicht rauskommen.« Bodo von Recklewitz-Münzner erwartete sich Sagenhaftes von der hiesigen Küche.
    Ich lud den Chef vom Dienst ein, mit uns zu essen. »Glauben Sie mir«, sagte er und ergriff mit beiden Händen meine Rechte,»wenn ich nicht morgen früh diese Beratung hätte, ich würde es tun! Ja, ich würde es tun, und dann würde ich Sie, Sie alle hier, einladen!«
    Wir geleiteten ihn zum Wagen, zu ebenjenem BMW , dessen Modell ich als Corpus delicti in der Hosentasche trug. »Ein schönes Auto«, rief ich, als der Chef vom Dienst das Fenster herabsurren ließ. Er setzte zurück und streckte den Kopf heraus, als wollte er sehen, ob wir noch alle da wären. Beim Anfahren reckte er seinen Arm bis übers Dach und winkte mit seiner Fliegenhand, wobei er, wie ein neues Versprechen, ein Goldarmband entblößte.
    »Der Sauhund!« rief Jörg, der noch vor Recklewitz seinen Arm hatte sinken lassen. »Dieser Sauhund!«
    »Seien Sie froh«, lachte der Baron, »daß Sie an so einen geraten sind, und seien Sie stolz! Kaum daß Sie auf dem Markt sind, umwirbt man Sie. Was wollen Sie mehr?«
    »Sitzt die ganze Zeit mit so einem Spielzeug im Jackett da und wartet auf seinen Einsatz, pfui Teufel!« rief Jörg.
    Der Baron schwieg, wie um sicherzugehen, daß Jörg tatsächlich zu Ende gesprochen hatte, und sagte dann: »Bauen Sie die Mauer wieder auf, aber beeilen Sie sich damit!«
    Wir sollten ihm, diesem Chef vom Dienst, dankbar sein, ja, wirklich dankbar. Der habe unsere Schwächen aufgedeckt, »Ihre Stärken und Schwächen«, ergänzte der Baron. Er mache sich selbst Vorwürfe, in der Vergangenheit nicht härter zu uns gewesen zu sein. Denn wie sich nun zeige, sei es wohl eher unwahrscheinlich, daß man uns weiterhin Zeit lasse, schmerzlos zu lernen, »wenn es das überhaupt gibt, schmerzloses Lernen!«.
    Jörg solle ihm einen Satz des Chefs vom Dienst nennen, der falsch gewesen wäre. Wir müßten uns ändern, ganz schnell ändern, sonst hätten wir keine Chance. »Und wenn Sie wenigstens«, sagte er, »den Umfang überdenken und Ihre Druckqualität.Sie brauchen Platz für Anzeigen, und für D-Mark kauft Ihnen niemand solche schemenhaften Photos ab.«
    Noch im »Ratskeller« stritten sie. Der Tonfall blieb freundlich, aber unerbittlich. »Sie wollen keine Tageszeitung werden? Dann müssen Sie sich eben was anderes überlegen.«
    Jedesmal wenn ich Jörg beispringen wollte, stand er bereits auf verlorenem Posten. Deshalb wohl zielte Recklewitz mit seiner Nase auf mich. Was ich denn dächte? Mir fiel nichts ein. Und ich war verärgert, weil Jörg sich so kindisch gebärdete, daß sie glauben mußten, wir hätten vergessen, die Spielregeln zu lesen.
    »Enrico!« rief Jörg. »Laß dich nicht so einfach ins Loch jagen!« Und dann machte Jörg erneut seine traurige Rechnung auf. Natürlich weiß niemand, was nach dem ersten Juli 185 wird, natürlich ist der Osten nicht der Westen, natürlich haben wir von der letzten Nummer fast tausend Exemplare mehr verkauft, natürlich kommt es auf uns an, auf das, was wir wollen, und auf unsere Kraft, natürlich sind wir nicht irgendeine Zeitung. Und wenn Jörgs Leute gewählt werden, sitzen wir näher an der Quelle als alle anderen. Aber ob das reichen wird?
    Danach fiel niemandem etwas Unverfängliches ein, um das Schweigen zu beenden. Zum Glück kam das Essen. Wir stießen an, und ich begriff nicht mehr, was an der Vision des Barons eigentlich so schrecklich sein sollte und was Jörg dazu trieb, immerfort den Kopf zu schütteln. Wenn Jörg sich weiter weigere, hatte der Baron gesagt (und offengelassen, wie ernst es ihm damit war), werde er eben selbst ein Anzeigenblatt gründen. Man dürfe doch das Geld nicht auf der Straße liegen lassen. Außerdem mache ihm das Spaß, Geldverdienen mache immer Spaß. Und in diesem Fall sei es ein Kinderspiel, wenn man von Beginn an alles richtig anpacke. Hatte der Chef vom Dienstnicht gesagt, in Gera drucke man mit Lichtsatz? Dann könnten so viele Gießener kommen wie wollten. Für

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