Neue Leben: Roman (German Edition)
Augen wieder aufgeschlagen.« Sowenig er gewußt habe, was zu tun sei, so genau habe er doch verstanden, daß es sinnlos gewesen wäre, sie weiter auszufragen. Er habe sich dann zu ihr unter die Decke gelegt.
Er habe das alles genossen und wiederum auch nicht, weil er immer an Aids habe denken müssen und voller Angst gewesen sei, sich anzustecken. Die wenigen Worte, die ihr entschlüpft seien, habe er für Ungarisch gehalten. Sicher könne er das nicht sagen. Plötzlich habe er geglaubt, sie zu kennen. Und im selben Augenblick sei sie auch schon verschwunden. Er sei ihr nachgelaufen und habe früh um fünf das gesamte Hotelpersonal aufgeschreckt und befragt. Immer freundlich, immer lächelnd, immer bedauernd habe man ihn abgewiesen. Am Strand sei er dann bis zum Frühstück auf und ab gelaufen, und da erst, beim Rauschen der Wellen, habe er schlagartig wieder gewußt, wo er ihr bereits begegnet sei. Robert schwört, es handle sich um jenes Mädchen oder jene Frau, die in Paris, als unser Bus durch die Hurenstraße geschaukelt sei, ihm einen Kuß gegen die Scheibe gehaucht habe. Da sei er sich sicher, ganz sicher.
Wir stocherten in unseren Essen herum und machten anschließend einen Spaziergang um den Teich. Ich sagte ihm, er solle glücklich sein, so etwas Schönes erlebt zu haben, und sich keine Sorgen machen.
Ich habe Barrista noch nicht fragen können, aber wie ich ihn kenne, steckt er dahinter, allerdings kann ich das Robert schlecht sagen. Ganz sicher hat Barrista das Mädchen geschickt.
Rechts, über den Feldern, glüht es noch rot, der ganze Himmel glänzt und schimmert davon in einem Rosaviolett, das nach Osten immer blasser und matter wird, der gleiche Himmel, den wir in Waldau über den Kiefern gesehen haben. Verotschka, auf dieser Veranda wird es uns nie wieder schlechtgehen, glaub mir, Verotschka, nie wieder! 351
PS : Verotschka, 352 noch sechzehn Stunden! Ich sitze auf unserer Holzveranda und sehe auf das Schloß, das wie eine angestrahlte Märchenkulisse vor einem lilafarbenen Hintergrund aufragt. Ich will diese 16 Stunden nicht, ich habe Angst, Du könntest Deine Abfahrt verschieben.
Wenn Du dies liest, werden wir schon alles gemeinsam haben, das Klingelschild, das Konto, das Kopfkissen. Dann soll die Zeit stillstehen. Es ist so seltsam, daß sich nun alles erfüllen soll, was wir uns immer gewünscht und uns immer verboten haben, fast immer. Wir, die merkwürdig stillen Geschwister, die nicht wußten, was sie miteinander anfangen sollten, wenn sie allein waren. Bis Du, die Siebzehnjährige, dem Dreizehnjährigen erlaubtest, in Dein Bett zu kommen und dort zu bleiben. Wenn ich etwas bedauere, dann nur, daß es so selten gewesen ist. Dabei habe ich nie etwas anderes gewollt, nie jemand anderen lieben können. Immer mußte ich Deine Freunde und Männer übertrumpfen und etwas Besonderes vollbringen. Von allen, die Du kanntest, wollte ich der Berühmteste, der Begehrteste werden. Dir, Dir allein wollte ich die Welt zu Füßen legen.
Warum haben wir immer so gegen uns gewütet? Du mit DeinenLiebschaften, ich mit meinen. Nadja, die in mir Dich liebte so wie auch ich Dich in ihr. Und wie Du mich von Dir befreien wolltest, mit Deiner Ausreise, und wie ich mir in jener Nacht, nachdem ich Dich zum Bahnhof gebracht hatte, endlich eingestand, daß ich Dich liebte, daß ich niemanden anderen als Dich im Herzen trug. Ich fühlte mich rein dabei, rein, weil es nur diese eine einzige Regung gab.
Und wie ich mich mit Bleiben bestrafte und Michaela Deine Schuhe trug und wie die Weltgeschichte uns überrumpelte und Du Dich verstecktest und ich darüber fast den Verstand verlor, weil ich nicht wußte, wie es weitergehen sollte. Und ich plötzlich begriff, daß ich kein Geld hatte, zum ersten Mal machte es mir etwas aus, keine Kröten, keinen Zaster, keine Moneten, kein Moos, keine Kohle, keine Knete, kein Heu zu haben. 353 Sonst wäre ich Dir nach Beirut gefolgt und hätte Dich nach Rom oder New York oder Altenburg entführt. Ach, Verotschka, bis in den Orient bist Du vor mir geflohen und hast mich brav ermutigt, weiterzuschreiben und fremde Frauen zu lieben, so wie man Jungen rät, sich viel zu bewegen und kalt zu duschen. Dabei wollte ich doch nichts anderes als Dich! Mit Dir will ich leben, Verotschka, nur mit Dir kann ein neues Leben beginnen.
Hier gibt es nichts mehr aufzuräumen. Der Geruch der frischen Farbe mischt sich mit dem der neuen Matratze. Die Bilder hängen, hier haben sie Platz und
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