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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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ist schlecht – sagte Rolf.
    – Aber rauchen wie ein Schlot?
    – Gelegenheitsraucher.
    – Und das da? – Der Polizist deutete auf Rolfs rechte Hand, auf die gelben Stellen an Zeige- und Mittelfinger.
    Rolf verzog den Mund.
    – Erstwähler, was?
    – Ja – antworteten Rolf und Michael gleichzeitig.
    – Ihre Dokumente!
    Rolf und Michael übergaben dem Polizisten ihre Personalausweise.
    – Was machen Sie denn dauernd in der ČSSR ?
    – Bergsteiger – sagte Michael hastig. Aus dem Wagen war die Funksprechanlage zu hören. Der Beifahrer meldete sich mit Toni 17.
    – Rote Bergsteiger, mal davon gehört? – Der Polizist blätterte in den Ausweisen vor und zurück.
    – Kurt Schlosser, klar, kenn ich – sagte Michael.
    – Den Beutel mal her. – Rolf reichte ihm den Beutel. Der Polizist schraubte die Flasche auf und roch daran.
    – Kamillentee, wofür denn das?
    – Mir ist übel – sagte Rolf.
    – Und warum gehen Sie dann nicht zur Wahl?
    – Warten auf ’n Kumpel.
    – Und wie heißt Ihr Kumpel?
    – Sebastian – sagte Michael – Sebastian Keller.
    – Keller, Sebastian also. Und wo wohnt dieser Keller, Sebastian?
    – Georg-Schumann-Straße einhundertund…
    – Haben Sie kein Blauhemd?
    – Hab ich drunter – Michael zog an dem Rundkragen seines Pullovers und stülpte den blauen Kragen darüber.
    – Und Sie?
    – Bin nicht in der FDJ .
    – Nicht im Jugendverband?
    – Religiöse Gründe.
    – Aber wählen, ich meine, Ihre Stimme, Sie werden doch Ihre Stimme abgeben?
    Rolf nickte bedächtig. – Hatte ich vor. – Rolf wandte sich um und spuckte auf die Wiese.
    – Na dann, viel Vergnügen, gute Verrichtung! – Er reichte Rolf beide Ausweise. – Und herzlichen Glückwunsch zum Erstwähler! – Er salutierte flüchtig. Als er die Fahrertür des Lada öffnete, sagte der Beifahrer gerade – Verstanden!
    Michael und Rolf schlurften in Richtung Wahllokal.
    – Was erzählst du da für ’nen Scheiß, religiöse Gründe? – flüsterte Michael.
    – Haste gemerkt, wie der Schiß gekriegt hat?
    – Und wenn er’s nachprüft?
    – Was solln der nachprüfen?
    Der Toniwagen fuhr an ihnen vorbei und hielt direkt vor dem Wahllokal.
    – Religiös hilft immer. Die sind sogar froh, wenn du religiös sagst und sagst, daß du deine Stimme abgibst.
    – Stell dir mal vor, du wärst der einzige, der so was macht.
    – Was macht?
    – Na, wählen gehen!
    – Wieso der einzige?
    – Nur mal vorstellen! Du gehst hierher und alle anderen nicht, nur du gibst deine Stimme ab, du allein.
    – O Mann …
    – Ich würde sterben, lieber würde ich sterben.
    – Warum sterben?
    – Weil es so peinlich ist! Alle würden sagen, das ist der, der seine Stimme abgegeben hat, und dann würden sie kichern und mir was hinterherrufen.
    – Du hast Probleme, nu ma wirklich.
    – Mensch, Röhre, da is Tina! Da!
    In die Menge vor dem Wahllokal war Bewegung gekommen. Die beiden Photographen trabten in Richtung Bordstein, ein zweiter Toniwagen stoppte, ein Mann mit umgehängtem Tonband und Mikrophon trat als erster vor die Familie, in deren Mitte eine junge mittelgroße Brünette im Blauhemd stand, eine hellrote Schleife im Pferdeschwanz.
    Rolf und Michael rannten das letzte Stück und hörten, wie Tina dem Mann mit dem Tonband sagte – Ach, ganz normal, wie immer, viel Bewegung, gesunde Ernährung, viel frische Luft. – Als der Reporter schon zur zweiten Frage ansetzte, fügte sie lächelnd hinzu – Und nicht zu spät ins Bett!
    Alle lachten, Tinas dunkle Augen leuchteten.
    Michael zog den Pullover aus, so daß auch er jetzt im Blauhemd dastand.
    – Vier, es sind genau vier! – triumphierte Rolf. Sie mußten sich auf die Zehenspitzen stellen. – Zwanzig, Mischi, ich krieg von dir zwanzig, vier Knöpfe!
    Michael sah gebannt auf das Blauhemd von Tina und nickte. – Is ja gut!
    – Schon im Kindergarten – sagte Tina – habe ich mir vorgestellt, wie das ist, das erste Mal die Stimme abzugeben. Wir haben es gemalt, immer wieder. Und einmal durften wir es auch mit Plasteline kneten. Das haben wir heute noch bei uns im Wohnzimmer.
    Vater und Mutter nickten. Tina war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Selbst die in der Mitte zusammengewachsenen Augenbrauen waren die gleichen.
    – Meine Stimme ist meine Gesundheit. Das haben mir meine Eltern ganz früh schon beigebracht. Und ich hab meine Eltern immer beneidet, weil die jedesmal so richtig glücklich waren, wenn sie ihre Stimme abgegeben hatten. Ja, wirklich, die kamen

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