Neue Leben: Roman (German Edition)
»Lehrer für Deutsch und Geschichte« nicht sein Berufswunsch. Aber er hatte es einmal zu Beginn der achten Klasse gesagt, um seine Chance auf die EOS zu erhöhen, weil Jungen, wenn sie schon nicht bereit waren, Offiziere zu werden, wenigstens Lehrer werden sollten.
Doch erst nachdem er Gunda Lapin von dem Kellergespräch erzählt hatte, war sie empört gewesen und hatte seinen Lehrer einen Sadisten genannt. Sie hatte mit ihren Pinseln gefochten, als kämpfte sie gegen Petersen. Und später hatte sie gesagt, daß man sich seine eigene Gegenwelt aufbauen müsse. Und entweder schaffe man das als junger Mensch oder gar nicht. Und daß nur das Denken, das unser Sein bestimme, einen Wert besitze, und daß man selbst herausfinden müsse, was verboten und was erlaubt sei.
Wie zwei Handwerker hatten sie im Atelier zu Abend gegessen, Ei mit Senf und Brot mit Quark und Marmelade. Er hatte befürchtet, nun nach Hause geschickt zu werden, und hatte sofort und erleichtert zugestimmt, ihr noch »einen Akt« zu stehen.
[Brief vom 16. 5. 90]
Während er sich ausgezogen hatte, hatte sie vor dem Ofen gekauert und Briketts nachgelegt, und dann die Leinwand hinter ihn gestellt und mit Bleistift seine Umrisse nachgezeichnet und später gefragt, ob er verliebt sei, und seine Antwort nicht gelten lassen. Vielleicht bedeute ja.
»Ist es ein Mädchen oder ein Junge? Oder eine Frau?«
»Wieso ein Junge?«
»Wieso denn nicht?«
»Sie heißt Bernadette.«
*
Der erste Sonntag im Juli. Er lief die Schröderstraße entlang, die immer steiler anstieg, jedes Grundstück ein kleiner Park. Er schwitzte, und das Papier war dort, wo er die Rosen hielt, längst aufgeweicht. Wenigstens pünktlich wollte er sein.
Er hatte Bernadette in der Tanzschule Graf kennengelernt, Bernadette, die ihn niemals als ihren Partner für den Abschlußball akzeptiert hätte, wäre ihr eine andere Wahl geblieben. Doch wie er hatte auch sie ausgerechnet jene Stunde, in der die Paare sich finden mußten, versäumt. »Nein« hatte sie nicht mehr sagen dürfen, aber Nicken, ohne aufzusehen und ohne zu lächeln, das hatte sie gekonnt, und stumm bleiben beim Tanzen und starr über seine Schulter blicken. Zweimal hatte er sie um ihre Adresse bitten müssen. Bernadette Böhme, Schröderstraße 15.
Die Hälfte der gelben Fliesen auf dem Weg zum Haus war zerbrochen, links und rechts sah er große runde Beete mit roten Blumen. Obstbäume verstellten den Blick auf die Elbe. Aus den offenen Fenstern kam lautes Stimmengewirr.
Ihre Mutter erkannte er sofort. Sie hatte die gleichen Haare, schwarz und glatt und in der Mitte gescheitelt, und wie bei Bernadette bogen sie sich an den Spitzen zum Hals, ohne die Schultern zu berühren. Deshalb hatte er ihre Brüder, die im Vestibül die Treppe herunterkamen, für Mädchen gehalten, denn auch ihre Gesichter waren von diesen schwarzen Haaren eingefaßt, und sie alle hoben ähnlich abrupt den Kopf, um freie Sicht zu haben.
Die Freundlichkeit der Mutter beruhigte ihn, und auch, daß er warten mußte. Sie brachte ihm ein Glas Wasser auf einem dunkelgrünen Untersetzer ins Wohnzimmer. Wenn sie lächelte, sah man von ihren Augen nur die Wimpern. Ihm war es angenehm gewesen, allein zu bleiben, einen Vertrauensbeweis erkannte er darin. Von den Kostbarkeiten, die offen herumstanden, zogen ihn besonders die dunklen Holzreliefs mit nacktenoder halbnackten Frauen an. Durch die großen Scheiben sah er die Stadt in der Ferne wie in einem Aquarium. Im Garten verteilt standen Liegestühle, dazwischen Sonnenschirme und ein Grill.
Gerade als er glaubte, er werde auf eine Probe gestellt – er hatte nichts berührt oder in die Hand genommen –, trat die Mutter wieder ins Zimmer. Als wäre er vollkommen gefesselt vom Anblick eines lächelnden Chinesen, drehte er sich nicht zu ihr um. Aber ihr Parfüm nahm er dafür um so stärker wahr.
»Gefällt Ihnen der? Das ist Speckstein«, sagte sie, als sie die Vase mit seinen Rosen auf einen langen Tisch stellte. Die Art und Weise, mit der sie ihr altmodisches Feuerzeug öffnete und in Gang setzte und die Zigarette genau in die Mitte ihrer glänzenden Lippen steckte, erinnerte ihn an Männer, die Schnaps aus der Flasche trinken. Sie legte den Kopf schief, um sich einen Ohrring einzufädeln. Das lilafarbene Kleid ließ ihre gebräunten Schultern frei. Bis ins Dekolleté hinein war ihre Haut von Sommersprossen übersät. Als sie den Kopf zur anderen Seite neigte, bat sie ihn, ihre Zigarette mit dem
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