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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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erstarrten, ihr Blick irrte umher. »Warum nicht«, sagte sie schließlich und reichte mir die Hand. »Marion.«
    »Enrico«, sagte ich und verstummte. Gott sei Dank klingelte das Telephon. »Unser besonderer Freund«, flüsterte sie und hielt mir den Hörer hin.
    So aufgelöst hatte ich den Baron noch nie erlebt. Man habe ihm das Zimmer im »Wenzel« gestrichen, er wolle sich nicht erneut aufregen, sondern mich schlicht fragen, ob ich vielleicht wisse, wo er eine Nacht bleiben könne, danach habe er etwas, nur eine Nacht! Ich lud ihn ein, bei uns zu schlafen.
    Als der Baron gegen halb zehn klingelte, war die Vorfreude schon verflogen. Robert und ich waren kurz vor sieben in die Kaufhalle eingefallen. Robert freute sich auf den Baron und den Wolf, dachte beim Einkaufen an die Gurken, die Barrista beim letzten Mal so gemundet hatten, und an Hundekuchen. Als wäre Weihnachten, machten wir Kartoffelsalat. Michaela hatte Vorstellung, die »Schöne Helena« von Hacks, das Stück war bereits abgesetzt, da es sich aber im Ensemble großer Beliebtheit erfreut – jeder Idiot darf mitspielen –, leiern sie es noch ein paarmal durch.
    Um neun hatten wir dann angefangen zu essen, so daß die hartgekochten und mit Kringeln aus Anchovispaste verzierten Eier schon fehlten, auch Wurstteller und Kartoffelsalat zeigten deutliche Lücken, nur die beiden kleinen Sonnen aus Apfelscheiben, die Robert auf Untertassen hergerichtet hatte, strahlten unversehrt, wenn auch angedunkelt.
    Wäre es nach Robert gegangen, hätte ich ununterbrochen von Georg und »dem Herrn von Barrista« erzählen müssen.
    Als endlich der Blumenstrauß und hinter ihm Barrista erschienen – Blumenstrauß ist kaum die richtige Bezeichnung für diesen Urwaldbusch –, belebten sich alle Erwartungen auf einen Schlag. Unsere Vasen waren zu klein, die ganze Wohnung wurde zur Puppenstube.
    Der Baron spannte Robert nicht lange auf die Folter und überreichte ihm die neue »Bravo« und – Robert jubelte – eine Baseballmütze, deren zwei ineinander verschränkte Buchstaben ich zunächst für Knöchelchen hielt. 139
    Als Robert nach dem Wolf fragte, unterzog er ihn einer kleinen Mutprobe, indem er ihm den Autoschlüssel hinhielt. Er könne Astrid gern befreien.
    »Wenn Sie Geld brauchen«, sagte der Baron, sobald wir allein waren, »dann haben Sie keine Skrupel, mich zu fragen. Ich kann Ihnen nur raten, kaufen Sie gleich!«
    Ahnst Du, was er meinte? Bis dahin hatte ich mir nicht einmal selbst eingestanden, was er offen aussprach. Ja, ich hoffte, gleichberechtigt neben Jörg an Georgs Stelle treten zu dürfen. Ich fragte, wieviel ich denn zu zahlen hätte. Die Summe sei nicht das Problem, da sei fast jede gerechtfertigt, sagte er. Ich müsse herausfinden, ob Georg überhaupt bereit sei, seinen Anteil herauszurücken. 140 Sollte Georg zwanzigtausend oder mehr verlangen, zwanzigtausend D-Mark wohlgemerkt, rate er mir, eine Bedenkzeit zu erbitten, das dämpfe die Spekulationslust. Die Schröders, also Jörg und Marion, hätten diese Summe ja ebenfalls nicht parat. Zwanzigtausend D-Mark aber stünden jederzeit für mich bereit, zurückzahlen könnte ich ihm das ganz sicher schon im Herbst, die Zinsen sollten der Inflationsrate entsprechen.»Tun Sie es, und wenn es für Ihren Jungen ist!« schloß er, als wir Robert an der Tür hörten. Astrid trabte herein.
    Barrista ist kein Typ, dem man um den Hals fällt. Aber bei ihm scheinen meine Wünsche und Sehnsüchte in besseren Händen zu sein als bei mir. Als würde er mich fortwährend aus einer Art Betäubung rütteln und fragen: Warum sitzen Sie denn am Kindertisch? Kommen Sie doch herüber, zu mir, zu den Erwachsenen!
    Der Baron bedankte sich bei Robert, wobei er ihn siezte und den gedeckten Tisch überschwenglich lobte. Ich sagte, daß er zu Robert bestimmt noch du sagen dürfe. Wenn das stimme, wandte sich der Baron an ihn, nehme er das gerne an, müsse jedoch darauf bestehen, von ihm dann Clemens genannt zu werden, und natürlich auch du. Wennschon – dennschon. Sonst lasse er sich nicht darauf ein.
    Ich flüsterte ihm bei nächster Gelegenheit zu, weder Georg noch Jörg hätten von Geld gesprochen, doch er lächelte und zischelte, daß man darüber auch nicht rede. 141 Dann legte er wie schon bei seinem ersten Besuch einen gesegneten Appetit an den Tag, nickte mit vollem Mund, als ich anbot, die restlichen Würstchen warm zu machen, und fachsimpelte mit Robert über Musik. Aus seiner Collegemappe beförderte er ein paar

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