Neue Schuhe zum Dessert
führten wir ein wildes Künstlerleben und wären nicht einfach nur arm. »Einer von euch sollte sich eine anständige Arbeit suchen.«
Ich warf Anton einen warnenden Blick zu. Die Gastgeberin umzubringen, galt nicht.
»Kommt rein.« Debs ging uns voran den Flur entlang, wobei sie den Fuß jedes Mal mit gestreckten Zehen aufsetzte.
In der Küche schloss Dad mich in die Arme, als wäre jemand gestorben. »Mein kleines Mädchen«, sagte er heiser. Als er mich aus der Umarmung entließ, hatte er Tränen in den Augen.
»Ihr habt das im Echo gesehen, oder?«, sagte ich.
»Eine Hexe, diese Frau, eine schreckliche Hexe.«
»So sollte er nicht von seiner Frau sprechen«, flüsterte Anton mir ins Ohr.
»Kann ich was für dich tun?«, fragte Dad.
»Nein, danke. Am liebsten würde ich es einfach vergessen. Ema, meine Süße, sag Granddad guten Tag!«
»Guck mal, ihr kleines Gesicht«, säuselte Dad. »Ist sie nicht süß?«
Debs machte die Drinks und sagte fröhlich zu Anton: »Na! Eure Leute wollen wohl nicht zur Vernunft kommen.«
»Was meinst du damit, Mum?«
Debs runzelte bei der Anrede die Stirn und fuhr fort: »Die IRA. Sie weigern sich, die Waffen abzugeben.«
Wir machen dieses Spiel jedes Mal durch, wenn die IRA in den Nachrichten war, und Anton hat vor langer Zeit aufgehört, Debs zu erklären, dass er kein Mitglied in der IRA ist. Anton ist Ire, das reicht Debs vollauf. Das Bemerkenswerte an Debs ist, dass sie fremde Länder nicht mag. Mit Ausnahme der Provence und der Algarve kann sie nicht verstehen, warum nicht alle Welt einfach englisch sein kann.
Dann begrüßte Anton Debs’ Kinder aus ihrer ersten Ehe, den achtjährigen Joshua und die zehnjährige Hattie. »Ah«, sagte er gönnerhaft, »die Maiskinder.«
Debs glaubt, er nennt sie so, weil sie so blond sind. Aber die Maiskinder sind die Helden in einem Roman von Stephen King, und es hat nichts mit der Haarfarbe zu tun, sondern damit, dass sie so ungewöhnlich sauber und brav sind.
»Hallo, Joshua. Hallo, Hattie.« Ich beugte mich zu ihnen runter, aber sie wichen meinem Blick aus. Andererseits stießen sie mich auch nicht zu Boden und rannten davon, wie freche Kinder es tun würden. Sie blieben einfach gehorsam vor mir stehen und richteten ihre Blicke auf ein unsichtbares Objekt irgendwo hinter meinem Kopf.
Anton sagt, er vertraue darauf, dass sie, wenn sie groß sind, zu Mördern werden und Debs im Schlaf mit der Axt umbringen.
Dann brauste Poppy wie ein kleiner Wirbelwind herein. Sie sieht aus wie eine Miniaturausgabe von Dad, nur mit einer Korkenzieherlockenperücke. »Lily«, rief sie. »Anton. Und Ema!« Sie küsste uns alle, packte Ema bei der Hand und rannte mit ihr aus der Küche. Sie ist eine Herzensfreude, und wir sind alle völlig vernarrt in sie, besonders Ema.
Das Essen selbst war eine ziemlich trübsinnige Angelegenheit. Erst entschuldigte Debs sich vielmals für den Zustand des Bratens. »Er hätte eigentlich vor einer Stunde gegessen werden müssen.«
»Es tut mir Leid«, murmelte ich.
Doch das war nur das Aufwärmen vor dem eigentlichen Programm – nämlich ihre Schadenfreude angesichts des Interviews von Martha Hope Jones. »Es muss dir so unglaublich peinlich sein, Lily. Mir ginge es so. Ich würde vor Verlegenheit sterben . Ich würde mich nicht mehr unter die Leute wagen. Wenn man sich vorstellt, wie viele Menschen es lesen und dich verurteilen, also, das muss eine furchtbare Erfahrung sein.«
»Ja«, sagte ich, den Blick auf meinen Teller gesenkt. »Deswegen wäre es mir lieb, wenn wir nicht darüber sprechen müssten.«
»Ja, natürlich. Du musst es einfach wegdrängen wollen. Dass jemand so entsetzliche Dinge über dich schreibt und das dann in einer großen Tageszeitung veröffentlicht, mit einer Auflage von mehreren Millionen … Wenn ich in deiner Situation wäre, ich würde mich wahrscheinlich umbringen.«
»Ich kann das für dich besorgen«, sagte Anton fröhlich. »Wenn du nicht auf der Stelle die Klappe hältst.«
Debs wurde rot. »Verzeihung. Ich habe mein Mitgefühl ausgedrückt. Nach einer solch schrecklichen, demütigenden, peinlichen …«
»Das reicht«, sagte Dad. Er klang so entschieden, dass Debs einen Moment lang verunsichert war. Dann machte er den Fehler, dass er sein Buttermesser ableckte, was sie zum Anlass nahm, ihn in schrillen Tönen zu beschimpfen. Im Laufe der Jahre hatte Debs Dad einer »My-Fair-Lady-Behandlung« unterzogen und seine zu beanstandenden Umgangsformen korrigiert:
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