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Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Titel: Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regner
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er, da ist es besser, wenn man erst mal in die Badewanne geht und in Ruhe nachdenkt. Aber in seinem Zimmer, das eigentlich nur ein sogenanntes halbes Zimmer war, wartete eine Überraschung auf ihn: Der Schreibtisch, ein Schülerschreibtisch, den seine Eltern für ihn und seinen Bruder vor vielen, vielen Jahren einmal gekauft hatten, war leergeräumt und in die Mitte des Zimmers geschoben, und darauf stand ein riesiger Fernseher, dessen Rückwand abgenommen und auf das Bett gelegt worden war. Das kann nicht wahr sein, das ist ein Irrtum, dachte Frank und betrachtete das riesige Ding, das ihm irgendwie bekannt vorkam, obwohl es nicht der Fernseher seiner Eltern war, es war ein fremder Fernseher, aber dennoch kam er ihm entfernt bekannt vor, er wußte nur nicht, woher, und jetzt stand er hier in seinem Zimmer. Frank betrachtete das Gerät genauer. Aus der Rückseite ragte das Ende der Bildröhre heraus wie die Spitze eines Eisbergs, und einige Drähte waren lose. Ein Schraubenzieher, ein Lötkolben und eine kleine Zange lagen daneben. Frank faßte lieber nichts an. Er traute Fernsehern nicht, seit ihm Wolli, ein Ex-Genosse von Martin Klapp, mal erzählt hatte, daß Fernseher auch dann, wenn sie vom Netz genommen waren, noch Stromschläge austeilen konnten. Zwar hatte Wolli auf Franks interessierte Nachfrage, wie das denn angehen könne, nur etwas Diffuses von Kondensatoren und Transformatoren gemurmelt, und Frank war sich ziemlich sicher, daß Wolli den üblichen Quatsch geredet hatte, den man von ihm kannte, er hatte sogar behauptet, er wüßte von einem, der an sowas mal gestorben sei, was reichlich dick aufgetragen war, wie Frank fand, aber trotzdem faßte er lieber nichts an, man weiß ja nie, dachte er, die Sache war ihm nicht geheuer, ein absolutes Rätsel, man kommt nach Hause und findet in seinem Zimmer einen fremden, hinten geöffneten Fernseher, das ist ein Affront, dachte Frank, das ist die ultimative Demütigung. Daß seine Eltern zu so etwas fähig waren, beunruhigte ihn sehr. Er konnte das nicht mehr mit ansehen, also zog er sich aus und ging wie geplant in die Badewanne, um jetzt aber wirklich einmal in Ruhe über alles nachzudenken.
    Daraus wurde aber irgendwie nichts. Er lag in der Badewanne und versuchte, sich an die Fragen zu erinnern, über die er die ganze Zeit in der Kaserne hatte nachdenken wollen, aber hier, in der richtigen Welt, kam ihm der Bundeswehrkram reichlich unwirklich vor, wie ein Alptraum, dessen Einzelheiten nach dem Erwachen ganz schnell verblassen, so daß nur ein allgemeines Gefühl der Bedrückung und des Schreckens bleibt. Er konnte die Angst, die er beim Gebrüll der Vorgesetzten immer wieder empfunden hatte, nicht mehr verstehen, auch nicht die Selbstverständlichkeit, mit der er alle an ihn gerichteten Befehle befolgt hatte, nicht den Terror der Stuben- und Spindkontrollen und auch mehr nicht die Angst davor, aus der Masse seiner Kameraden herausgepickt zu werden. Er wußte zwar noch, wie sich das alles angefühlt hatte, aber er verstand es nicht mehr, es ergab keinen Sinn, und alles, was hier und jetzt in der Badewanne noch davon übrig war, war ein Gefühl der Verwirrung und Beschämung, deshalb holte er sich lieber erstmal einen runter und schlief danach in der Wanne ein.
    Er erwachte, als seine Mutter an die Tür klopfte und rief, daß es gleich Abendbrot geben würde und daß sie und sein Vater auch mal aufs Klo müßten. »Wir warten jetzt schon lange genug«, rief sie, »nun ist aber auch mal gut!«
    Das Wasser war gerade noch lauwarm, solange er sich nicht bewegte, wenn er sich bewegte, war es kalt, und so lag er noch einen Moment lang regungslos da, bevor er seufzend den Stöpsel herauszog, aus der Wanne stieg und sich die Kleider anzog, die er immer, wenn er in die Badewanne ging, mit ins Badezimmer nahm, um seinen Eltern nicht aus Versehen nackt oder halb bekleidet entgegentreten zu müssen.
    Er wartete, bis sie sich zum Abendessen gesetzt hatten, bevor er seine Eltern nach dem Fernseher fragte. Er wollte ihnen die Chance geben, die Sache von sich aus zu erklären, aber sie ließen sich nichts anmerken, seine Mutter machte Rührei mit Schinken und sein Vater ging auf den Balkon, um die Blumen zu gießen. Dann setzten sie sich hin, um zu essen.
    »Wie war’s denn so?« fragte sein Vater, während Frank allen Tee eingoß.
    »Super«, sagte Frank. »Ganz toll.«
    »Das ist schön«, sagte seine Mutter.
    »Ich habe da mal eine Frage«, sagte Frank boshaft freundlich,

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