Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
den nächsten Typ, der vorbeigeht oder so.«
»Hoppe, manchmal bist du ganz schön bescheuert«, sagte Schmidt. Dann schwiegen sie wieder.
Es war ein schöner Tag, und die Schatten der die Landstraße säumenden, im Wind schwankenden Pappeln wischten fröhlich über den Asphalt, als sie sich der Autobahn näherten. Frank wünschte sich, er wäre schon alleine, solange die anderen bei ihm waren, wurde er das Kasernengefühl nicht los, es sind gute Jungs, dachte er, aber sie gehören nicht ins Wochenende, man muß ja auch irgendwann mal allein sein, mal richtig über alles nachdenken, ganz in Ruhe, dachte er. Als sie die Autobahn erreichten, quälte er den Kadett auf selbstzerstörerische hundertvierzig Sachen hoch, der Wagen dröhnte und vibrierte und klapperte wie ein alter Kühlschrank, was jede weitere Unterhaltung ausschloß, es bringt ja auch nichts mehr, dachte Frank, was soll man jetzt noch sagen, aber trotzdem fand er das Schweigen bedrückend. Solange wir hier zusammen im Auto sitzen, kommt man sowieso nicht zum Nachdenken, dachte er, das Schweigen ist genauso ablenkend, wie wenn einer was sagen würde, dachte er, und dann überlegte er, ob er nicht vielleicht etwas sagen könnte, aber ihm fiel nichts ein, es ist alles gesagt, genauer gesagt, dachte er, ist alles schon mehrmals gesagt, schon am allerersten Abend in der Kaserne hatte Leppert irgendwann mal »Alles Scheiße« gesagt, erinnerte sich Frank, das war eigentlich schon alles, dachte er, und seitdem war dieser Kommentar oft wiederholt worden, vor allem von Schmidt, der allerdings oft auch »alles Scheiße, deine Elli« gesagt hatte, was Frank etwas kindisch vorkam, aber was soll’s, dachte er, Schmidt ist ja auch fast zwei Jahre jünger, und dann schrie Hoppe auf, weil Frank fast auf einen LKW aufgefahren wäre, und dann waren sie auch schon runter von der Autobahn, in Bremen, und sie fuhren an der Neuen Vahr Süd vorbei zum Hauptbahnhof. Frank bescheinigte sich bei dieser Gelegen-heit ein hohes moralisches Guthaben, weil er diesen Umweg für seine Kameraden machte und dadurch im dichten Freitagnachmittagsverkehr mindestens eine Dreiviertelstunde seines Wochenendes opferte, aber schließlich mochte er sie ganz gerne, das glaubte er wenigstens, es ist auch eine Zwangsgemeinschaft, dachte er, da hat man kaum eine Möglichkeit, sie nicht zu mögen, andererseits mag man aber Neuhaus und Raatz nicht, dachte er, auch wenn sie auf derselben Stube sind, nun gut, das waren Offiziersanwärter, Zeitsoldaten, mußte er zugeben, da war das nur natürlich, daß man mit ihnen nichts anfangen konnte, aber mit Klotz und Neubarth kam er auch nicht richtig klar, mußte er sich eingestehen, während er sich mit Hoppe, Schmidt, Leppert und Hartmann von vornherein gut verstanden hatte, da muß man auch mal in Ruhe drüber nachdenken, wie das wohl kommt, wieso ausgerechnet die, dachte er, aber nicht jetzt, jetzt müssen die erstmal weg, die armen Schweine, dachte er, die haben es noch weit, die sind erst heute abend zu Hause, dachte er. Aber es nervte ihn trotzdem, seine Zeit damit zu verplempern, in Schwachhausen im Stau zu stehen, und die armen Schweine nervten ihn auch, sie wurden immer unruhiger und riefen ihre Zugabfahrtzeiten auf, um ihn zu waghalsigen Stauschummelmanövern anzustiften, »fahr doch da eben über den Bürgersteig«, sagte zum Beispiel Hoppe immer wieder, sie hetzen mich, dachte Frank, sie sind undankbar, und ungefähr auf der Höhe der LVA OldenburgBremen spielte er sogar kurz mit dem Gedanken, sie aus dem Auto zu werfen und die Straßenbahn nehmen zu lassen, aber dann waren sie endlich am Hauptbahnhof, die Jungs stiegen aus, riefen ihm ein aufrichtiges und herzliches Dankeschön zu, Schmidt klopfte ihm sogar auf die Schulter, obwohl er seinen Zug verpaßt hatte, wie er nicht müde wurde zu bejammern, und Frank fühlte sich ein bißchen schuldig, weil er sie heimlich verflucht hatte. Er sah ihnen nach, wie sie breitbeinig auf den Haupteingang des Bahnhofes zugingen, und fragte sich, was er jetzt machen sollte, wohin er gehen sollte, um jetzt endlich einmal in Ruhe über alles nachzudenken. Er beschloß, daß es das beste wäre, nach Hause zu fahren und sich in die Badewanne zu legen.
7. DER FERNSEHER
Bei ihm zu Hause war noch keiner, und das war Frank ganz recht so, er wollte mit niemandem reden, schon gar nicht mit seinen Eltern, die ihn sicher über die Bundeswehr ausfragen würden, davon war er fest überzeugt, das wird noch schwer genug, dachte
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