Neue Zeit und Welt
kleinen Katze haften, die neben ihr auf dem Thron saß. Sie lächelte und streichelte das kleine Wesen. Isis schnurrte und leckte dem Kind die Hand; sie roch ein wenig nach Joshua, die Hand, und Isis verspürte keine Angst.
Der Blick des Kindes ging wieder hinaus zu den Gesichtern der entsetzten Neuromenschen, haftete auf Fleur. Sie legte den Kopf auf die Seite, ihr Lächeln verschwand. Fleur fühlte plötzlich die Gedankenstimme des Kindes in seinem Kopf, telepathisch übertragen. Der Gedanke sagte: Du böse. Mag dich nicht.
Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück. Er fühlte sich eiskalt. Das Kind starrte ihn mit unverhülltem, ungeformtem Hass an. Fleur spürte ihn wie körperlichen Druck, der ihn zurücktrieb, diesen heftigen, nicht laut gesprochenen Gedanken in sein Gehirn zwang, ihn dort festhielt wie eine kalte Stahlkugel: Böse. Mag dich nicht. Er konnte sein Denken davor nicht verschließen. Er trat noch zwei Schritte zurück.
Das Kind lächelte wieder. Es blickte hinunter auf seine Mutter, die Königin, die mit geöffnetem Bauch auf dem Marmortisch lag. Die Königin öffnete die Augen und blickte das Kind an.
»Mein Baby …«, murmelte sie.
Das Kind sprach telepathisch mit ihr.
Mutter, gib mir.
Die Königin schloss wieder die Augen und öffnete ihr Denken dem Mädchen, ließ in synchroner Folge die Schichten elektromagnetischer Felder fließen, die ihre Gedanken und Wahrnehmungen waren, vermischt und verflochten mit denen der hundert Menschen, die im Saal dahinter lagen, durch Kabel an den Köpfen wie mit Nabelschnüren angeschlossen. Das Kind nahm alles auf, empfing die Wellen, speicherte alles in einem massiven, protonreichen Metafeld, erzeugt durch das würfelförmige Mittelhirn, von dem die Mutter gewusst hatte, dass das Kind es besitzen würde, jenes Gebilde grauer Zellen, das sie durch die Kunst der Kopulation hervorgerufen hatte.
Als die Übertragung beendet war, sagte das Kind mit der Gedankenstimme, die schon lauter war als zu Anfang: Mutter auch. Darfst nicht. Nein, nein, nein. Nein, nein, nein. Kind ja, ja. Ja, ja, ja. Ja, ja, nein. Ja, ja. Ja, nein. Ja, ja. Nein. Nein. Nein. Worauf das fremdartige und vogelähnliche kleine Wesen vom Thron sprang, auf allen vieren in der klaffenden Bauchhöhle der Königin landete und die Bauchaorta der Monarchin mit ihren zarten, krallenartigen kleinen Händen aufriss. Die Zuschauer ächzten und wichen zurück, als die Königin rasch auf dem Marmortisch verblutete. Das Kind sprang wieder auf den Thron – zu Isis, die mit unbeirrtem Interesse zusah – und sagte zu der fassungslosen Versammlung, ohne einen Laut von sich zu geben: Königin tot.
Lang lebe die Königin.
Kapitel 14
Ein Vater und sein Kind
sehen sich wieder
E s war in tiefster Nacht spät im April im Jahre 127 der Eiszeit, gegen das Ende von vier Tagen und Nächten heftigen und unaufhörlichen Stürmens zu – in dieser Jahreszeit etwas, womit man rechnen musste, nach dem kurzen vorgetäuschten Frühling sogar typisch –, dass das gute Schiff ›Atlantis‹ etwa zwanzig Meilen südwestlich der Stadt ohne Namen an der Meeresoberfläche auftauchte. Die Folge von Ereignissen im Zusammenhang mit diesem Auftauchen ist schwer zu interpretieren ohne Zuhilfenahme weit verbreiteter Trugschlußkonstruktionen wie höhere Gewalt, Zufall, Schicksal, Bestimmung, Synchronizität. Die Umstände waren jedoch nicht mehr und nicht weniger als ein Weiterspringen in der Ratsche am Rad der Zeit; der Analyse entziehen sie sich deshalb.
Als allererstes gab es keinen der häufigen Vampir-Erkundungsflüge von der Stadt aus, wie sie üblich waren, und zwar wegen der Luftturbulenzen und allgemeinen gefährlichen Flugbedingungen, und auch deshalb, weil Vampire Regen – wie Wasser überhaupt – mehr hassten als die meisten Geschöpfe. Es gab aus diesem Grund keine Spione, die Joshuas Fahrzeug sehen konnten, als es auftauchte. Dies war um so bemerkenswerter, als es beinahe unmittelbar nach dem Durchstoßen der Wellen in die wogende Nacht von einem Blitz getroffen wurde.
Der Blitzschlag hatte drei Wirkungen: Er warf den Seemann in dem kleinen Fahrzeug in einen Zustand tauben, markerschütternden Halbbewußtseins; er beschädigte das Stromsystem des Bootes so sehr, dass es vorübergehend tauchunfähig wurde; und er sorgte dafür, dass das elliptische Kristallgebilde in unheimlichster Weise schillernd grün aufleuchtete.
Früher hatte man das Elmsfeuer genannt; die ungeerdete statische
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