Neue Zeit und Welt
gewesen.«
»Du bist eine große Hilfe gewesen«, versicherte Beauty.
»Trotzdem«, sagte der Bär mit zusammengezogenen Brauen. »Deine Frau ist hier glücklich, den Mann habt ihr immer noch nicht gefunden. Außerdem wird mein König von der stinkenden Stadt am Stick keine Hilfe erhalten. Das Ganze sieht nach Zeitverschwendung aus.«
»Die Zeit ist nie verschwendet, D’Ursu Magna. Sie wird nur für später beiseite gestellt.«
Der Bär kniff die Augen zusammen.
»Du bist zu lange mit Menschen zusammengewesen, Beauté Centauri, wenn du das glaubst. Jedenfalls sage ich dir jetzt Adieu. Ich werde mich am Ende des Tunnels hier niederlegen und schlafen. Wenn ich länger als einen Monat schlafe, dann weck mich, bitte, weil ich meinem König helfen muss, sobald ich ausgeruht bin.«
»Träum gut, alter Bär.«
»Und lass dir im Traum neue Streiche einfallen«, fügte Aba hinzu.
»Dann lebt wohl, bis wir uns im Großen Wald wieder sehen. Mögen alle Städte niederbrennen.« Er umarmte Beauty und Aba, brüllte auf, dass es in allen Höhlen eine ganze Minute lang widerhallte, dann tappte er schwankend in seine Schlafhöhle, um einen kurzen Winterschlaf zu halten.
Jasmine und Beauty hatten einander einige Jahre nicht mehr gesehen, und ihre letzte Trennung war von so vielen Zweideutigkeiten und sexuellen Spannungen begleitet gewesen, dass sie beide nach dem Wiedersehen nicht recht wussten, wie sie sich verhalten sollten.
»Es ist schön, dich wieder zu sehen«, sagte sie so leise zu ihm, als sei es ein Geheimnis. »Wie gut, dass dir nichts zugestoßen ist.«
»Ich freue mich, dass du hier bist.« Er nickte.
»Dein Gesicht ist eine Wolke«, flüsterte sie.
»Eine gute Beschreibung. Wir sind wie aufziehende Wolken, die hier auf den Donner warten.«
Sie konnten es alle fühlen; ein Sturm stand bevor.
»Wie fühlst du dich?« fragte Paula.
»Gut. Es geht mir gut«, sagte Aba. Es stimmte nicht. Seine Haut war grau. Er lag allein in einer Ecke, zu schwach, um aufzustehen. In anderen Winkeln der Höhle flüsterten Liebende miteinander, schlossen Angestöpselte sich zusammen, kritzelten Schreiber, träumten Schlafende. Draußen wurde es dunkel – die eigentliche Zeit für Vampire –, und Aba dachte ans Fortgehen, wenn auch nicht mit Freude.
»Ich habe dir einen Band mit Gedichten gebracht«, sagte Paula. Sie schlug das Buch auf. »Du bist ein Wesen von tiefer Trauer, scheint mir«, fuhr sie fort und las vor: »›Komm zu mir, Trauer, die dunkelnde Nacht hält mich bei dir friedlich in Wacht.‹ « Sie lächelte. »Ein altes Gedicht. Ich habe dieses Buch im vergangenen Jahr abgeschrieben, daher kenne ich es. Das Original zerfiel. Es … hat mich an dich erinnert.«
»Das Zerfallende?«
»Nein, nein … das Gedicht.« Sie streckte die Hand aus, als wolle sie den Gedanken abwehren, und berührte seine Brust – das erste Mal, dass sie ihn so berührte. Sie ließ ihre Hand dort liegen, obwohl sie beide ein wenig erschrocken waren. »Du erinnerst mich daran«, flüsterte sie.
Er hielt den Blick auf sie gerichtet und nickte.
»Die dunkelnde Nacht bringt mir wahrhaftig keinen Frieden.«
»Und weshalb nicht?«
»Das ist die Stunde, die mich am deutlichsten an meine zwanghaften Begierden erinnert.«
»Ich habe an dir nie etwas von Zwängen erlebt«, sagte sie, aber es klang beinahe wie eine Frage.
Er hob ganz leicht seine Brust gegen den Druck ihrer Hand und sprach ein eigenes Gedicht:
»Duftende, samtige, schwarze Nacht,
dunkler Schatten im Flug, bin ich
im Sternenlicht erschienen, ich komme.
Geheimer, verstohlener Hunger
scheine zu lauern in der Nacht.
Du wendest meinem Licht dich zu.
Tanz du nun langsam zu meinem Lied,
bis es endet, Geliebte, fahl und still,
wenn das eisige Licht entsteht.
Führ uns zusammen, der Ohnmacht nah,
nächtlicher Flug der Sonne ich,
mitternächtliche Stund’ deiner Ruh’,
die dunkle Seite des Mondes.«
Die Gewalt seiner Worte zwang sie, näher und näher zu ihm sich zu neigen, bis ihr Gesicht, als er verstummte, nur noch wenig von seinem entfernt war.
»Das sind … machtvolle Worte«, flüsterte sie.
»Aus einem uralten Liebeslied der Vampire«, sagte er leise.
Sie beugte sich noch ein wenig tiefer, wich plötzlich zurück, angstvoll, begehrend, gequält. Ihr Atem stockte.
»Komm zu mir, mein trauerndes Lieb.«
Sein Mund senkte sich zögernd, leidenschaftlich auf ihre Kehle. Der Geruch ihres warmen Körpers unter der dunklen, überhängenden
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