Neue Zeit und Welt
Wenn dem so war, würde er sterben, sobald die Sonne ihr Werk getan hatte. Dies war also seine Feuerprobe. Wenn er am Ende dieses glutheißen Tages noch lebte, nachdem der ganze Gestank seines Inneren davongequollen war, die Sonne das Böse in ihm ausgesengt und die Wunde verätzt hatte – wenn er dann noch lebte, wollte er mit dem kargen Rest neu beginnen. Schwach, aber doch geläutert. Er bezweifelte aber, ob er am Abend noch leben würde.
Die Sonne stand jetzt im Zenit, gnadenlos, ohne Erwartung, ohne Erinnerung. Der Sand der Ansa Bianca dehnte sich in alle Richtungen wie ein wasserloser Ozean von unendlicher Tiefe.
Ollie berührte das Loch in der Brust, wo der Rubin herausgerissen worden war. In der Mitte war Blut hinausgequollen, das sich klebrig anfühlte und an den Seiten verkrustete. Schmerzhaft, aber sauber. Er atmete tief ein, füllte die Lunge mit Wüstenluft und wartete auf den Tod.
Als Josh von Beautys Rücken herabglitt, trat Jasmine heran.
»Wie ist es gegangen?« fragte sie.
Josh schüttelte bedrückt den Kopf.
»Sehr schlecht«, erwiderte Beauty.
Sie setzten sich an das Lagerfeuer und aßen. Josh und Beauty berichteten von ihrem Gespräch mit dem Kind. Isis saß still auf Jasmines Schoß.
»Sie besitzt Kräfte, von denen sie überhaupt nichts versteht«, sagte Beauty abschließend. »Sie hat Launen und ist jähzornig. Man kann ihr nicht trauen.«
»Aber sie ist nur ein Kind«, fügte Josh hinzu. »Sie wird heranwachsen. Sie wird reifer werden. Mit ein wenig Anleitung, glaube ich …«
Jasmine starrte eine Weile vor sich hin.
»Joshua, ich hoffe, du hast recht«, sagte sie schließlich. »Aber ich glaube, wir müssen auf jeden Fall Pläne machen.«
Das ganze Lager hörte zu. Die meisten würden tun, was Josh empfahl, aber man wusste, wie viel Respekt er Jasmines Urteil zollte, und hing deshalb an ihren Lippen.
»Was schlägst du vor?« fragte Josh.
Sie öffnete das Geheimfach in ihrem Bauch, zog eine Reihe von Gegenständen heraus und legte sie neben sich ins Gras. Dann hob sie Isis’ Vorderpfote hoch, griff nach einer Schere und durchschnitt einen feinen Faden, mit dem ein Fleckchen am Fußballen befestigt gewesen war. Sie hob es hoch.
»Das ist Nährboden«, sagte sie. »Er befand sich zufällig in dem Biomaterial, das ich gestohlen habe, als ich mit Ollie in der Festung war. Ein Polymer-Nährpflaster spezieller Art, vor Jahrhunderten dafür entwickelt, dass eine Gewebekultur bis zu achtundvierzig Stunden aufbewahrt werden kann. Ich habe es heute früh an Isis’ Fuß geklebt und luftdicht verschlossen. Ich erteilte ihr den Auftrag, den Verschluss abzubeißen, wenn sie sich in der Nähe der Königin befand, möglichst unauffällig, versteht sich.«
»Aber wozu?« fragte Josh.
»Ich’ habe vorher zu keinem von euch etwas gesagt, weil wir davon ausgehen müssen, dass das Kind in der unmittelbaren Umgebung Gedanken lesen kann – wenn nicht ganz exakt, so doch nach Absicht und Empfindung. Wenn ihr also gewusst hättet, was ich vorhatte, wäre sie auch dahinter gekommen. Aus diesem Grund habe ich nicht einmal Isis die wahre Absicht verraten.«
»Nämlich?«
»Sobald die Königin ausspuckte, sollte Isis die Pfote in den Speichel stecken und ihn mit diesem Nährboden aufsaugen. Falls das ging, sollte sie unauffällig ein Schutzpflaster darüberkleben, das ich an ihrem anderen Fuß befestigt hatte. Und es hat den Anschein, dass ihr das gelungen ist.« Sie streichelte liebevoll den Kopf der kleinen Katze. Isis strahlte.
»Aber woher hast du gewusst, dass das Kind ausspucken wird?« fragte Beauty.
Jasmine lachte.
»Weil ich wusste, dass der Wein schlecht ist. Er war schon vor Jahren sauer geworden. Ich hatte ihn in meinem Höhlenversteck aufbewahrt.«
Josh und die anderen starrten sie verblüfft an.
»Ich verstehe immer noch nicht.«
Jasmine löste den Schutz vom Nährboden, griff nach einem dünnen Spatel und kratzte die Hälfte der Substanz ab. Sie schraubte ein silbernes Reagenzglas auf, rührte den mit Speichel und Nährboden beklebten Spatel darin herum und schraubte das Röhrchen wieder zu. Das wiederholte sie mit der anderen Hälfte des Stoffes und einem zweiten Röhrchen. Als sie damit fertig war, hob sie den Kopf.
»Ich wollte, dass das Kind ausspuckte, deshalb habe ich euch den bitteren Wein gegeben. Sie sollte ausspucken, weil ich wusste, dass Zellen von der Mundschleimhaut im Speichel sein und vom Nährboden aufgenommen werden würden. Wir brauchen die Zellen des
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