Neue Zeit und Welt
spürte immer deutlicher, dass Paula – dass sie alle in großer Gefahr durch dieses unheimliche Kind schwebten, und diese Tat schien ein entscheidender Schritt zu sein, ihren Schutz zu sichern.
Man zögerte lange. Niemand wusste so recht, was er sagen sollte. Schließlich äußerte sich Josh.
»Ich möchte eines erklären: Dieser Vampir hat unser Vertrauen verdient. Er war einmal der beste Freund des edelsten Vampirs, den ich je gekannt habe. Er hat uns nie etwas getan und ist von uns schmählich behandelt worden. Nun schlägt er sein Leben in die Schanze, um uns zu helfen. Ich danke ihm demütig und sage, er soll gehen.«
Das war die Entscheidung, ohne Debatte. Josh wurde als Führer anerkannt. Außerdem tauchte, bevor noch jemand etwas sagen konnte, wie aus dem Nichts Ollie auf. Er war von der Sonne versengt, braun und rot zugleich, an vielen Stellen schälte sich weißlich, runzlig die Haut ab, wie uraltes Pergament mit unsichtbaren Runen, oder wie bei einer Schlange, die sich in der Metamorphose häutete. Seine Lippen waren aufgerissen und angeschwollen, seine Augen lagen tief in ihren Höhlen – aber er lächelte.
»Und ich nehme das andere Röhrchen«, sagte er laut.
Es gab Gemurmel und Ausrufe.
Paula kam heran.
»Wie kannst du es wagen, hier noch einmal dein Gesicht zu zeigen?«
Ollie sah sie an, dann ließ er den Blick über die anderen hinweggleiten. Langsam und deutlich sagte er: »Ich bitte euch um Verzeihung für mein Verhalten – euch alle; und dich …« Er starrte Aba kurz an und sprach weiter: »Ich möchte wieder gutmachen, was ich getan habe. Ich habe gegen den Geist unserer Menschlichkeit verstoßen, das weiß ich. Ich bitte euch, diese Last für euch tragen zu dürfen.«
Jasmine sah Ollie bohrend an.
»Wir sollen dir vertrauen können?« sagte sie.
Er wollte aufbrausen, ließ plötzlich die Schultern hängen, ermannte sich wieder.
»Ich habe mein Wort nie gebrochen«, sagte er. »Außerdem habe ich bessere Chancen als irgendeiner von euch – du vielleicht ausgenommen –, mich durch feindliches Gebiet durchzukämpfen und ans Ziel zu gelangen. Ich komme am besten zurecht. Und außerdem hat Aba recht. Er sollte eines der Röhrchen nehmen, weil er hinfliegen kann, schneller, als alle anderen zu Fuß unterwegs wären. Ich kann für meine Person in diesem Augenblick nicht mehr verlangen als das, was ich selbst zu tun bereit bin.«
Ollie und Aba sahen einander an. Zwischen ihnen herrschte immer noch knisternde Spannung, aber zum ersten Mal schien sich ein Verständnis anzubahnen.
Ollie war eine Zentnerlast vom Herzen gefallen, als er sein Mea culpa gesprochen hatte, und fühlte sich noch mehr erleichtert, als man schließlich die Erlaubnis gab und seinem Wunsch, dieses gefährliche Abenteuer einzugehen, zustimmte. Er hoffte, vor Aba in den Feuerhöhlen zu sein – trotz seines Schuldbewusstseins. Ollie blieb Ollie. Er ersehnte nach wie vor einen ehrenhaften Sieg über den Vampir.
Man bestimmte vier andere zu seiner Begleitung: Beauty, der die Gegend um die Feuerhöhlen kannte und den Weg dorthin wusste; Michael, den es vor Energie kaum noch an seinem Platz hielt; Ellen, die über einen großen Wortschatz verfügte und mit der Macht ihrer Schreibkunst versuchen wollte, das Unternehmen zu schützen; und David, der sich in der Rangordnung vor Michael setzen und ihm etwas beweisen wollte.
Jasmine, Josh und Rose sollten, so entschied man, hier bleiben und die Kind-Königin überwachen. Paula würde ebenfalls bleiben und weiterhin den Fortgang des Großen Wörterbuchs überwachen.
Dies alles wurde im Verlauf des Abends entschieden. Als Mitternacht herankam, verabschiedete man sich von den tapferen Boten.
Beauty nahm zuerst Abschied von Rose, die er liebte wie eine alte Freundin, mit der er gute und schlechte Zeiten durchlebt hatte. Die Bande ihrer Liebe waren gefestigt, gerade durch ihre Narben. Sie umarmten sich wortlos im Angesicht dieser neuen Gefahr.
Beauty ging zu Jasmine, um ihr Lebewohl zu sagen. Wieder, wie schon vor fünf Jahren, war er glücklich darüber, sie zu kennen, und ein wenig traurig, weil er so wenig von ihr wusste. Er wollte mehr, und erneut hatten die Umstände verhindert, dass sie einander näher kamen.
»Du bist eine bemerkenswerte Frau«, sagte er, die Hände auf ihren Schultern, »und du wirst mir fehlen.«
»Unsere Freundschaft ist noch nicht zu Ende«, widersprach sie, sowohl sie wie er wusste, dass es lange dauern würde, bis sie einander wieder
Weitere Kostenlose Bücher