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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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Wände blieben aufrecht, unberührt. Sie rang mit der Zeit, um sie zurückzuhalten, sie anzuhalten, damit in ihrem Hirn Ruhe herrschen möge – aber sie beschleunigte nur für eine Weile und nur an der östlichen Wand, so dass die Steine dort vor Alter zu einem Schutthaufen zerbröckelten. Sie versuchte die Sonne zur Explosion zu bringen – und sie zersprang auch, eine ferne Sonne in einem anderen Äon.
    Sie kreischte, und es regnete.
    Sie wusste, dass sie ungeheure Wandlungen bewirken konnte, dass das in ihr lag – aber was war es? Und wie geschah es? Und wann und wozu und für wen?
    Vielleicht für Joshua. Ihren Vater-Schöpfer. Sie fühlte sich mit ihm verbunden, wie nicht mit Osi, wie nicht mit der Äther-Mutter – aber eine Verbindung war vorhanden. Eine Wärme. Zärtlichkeit? Was war das? Eine besondere Wellenlänge, Teil des Epsilon-Feldes. Eine der Elektronspin-Wechselwirkungen. War es das? Nein.
    Sanfte Freundschaften. Was war das? Sie konnte es nicht ergründen, außer in der Nähe Joshuas. War das der Schlüssel? Nein, gewiss nicht. Der Schlüssel war sie selbst. Der gemeinsame Schlüssel.
    Sie war allein. Gelangweilt. Wartend. Neugierig. Mächtig. Ohnmächtig. Dunkelheit. Sie war der Schlüssel.
    Aber was war das Schloss?
    Mutter-Äther, will keiner mir sagen, was ich bin?
    Das All. Das All kommt zu allen, irgendwann.
    Wer bin ich?
    Das helle Dunkel. Das gleißende Rad der Zeit.
    Will mir keiner sagen, wer ich bin?
    Der Knoten und der Schlüssel.
    Mutter-Äther, was bin ich?
     
    Die Stadt zerbröckelte dampfend in der Nacht.
    Hier und dort lohten kleine Feuer. Einmal stürzte eine lange Mauer ein, zerfiel zu Schutt. Irgend jemand wurde zermalmt. Es regnete eine Weile, eiskalter Regen, aber als er aufhörte, schien nichts gereinigt zu sein.
    Es gab einen kurzen Meteorregen. Achtzig, neunzig weißglühende Gesteinsklumpen sausten vom nachtschwarzen Himmel herab und fegten fauchend wie Raketen in den Boden, innerhalb der Stadtmauern.
    Ein Vampir stürzte mit lodernden Flügeln herab, prallte an eine Mauer, blieb regungslos liegen.
    Die Luft gerann, und eine Stunde lang – vielleicht länger, vielleicht für eine Ewigkeit; vielleicht gerann auch die Zeit – bewegte sich nichts, kein Wesen, kein Molekül. Dann fing der Regen wieder an, und alles war wie zuvor.
    Obschon freilich nichts mehr so sein konnte wie vorher.
     
    Im Lager der Buchleute verging die Nacht langsam. Vielleicht dauerte sie auch hier eine Ewigkeit, denn die Luft besaß eine gewisse Dichte, die Zeit verdickte sich, alles schien undurchdringlich zu werden.
    Jasmine, Josh, Rose lagen nebeneinander und starrten zu den Sternen hinauf. In solche Tiefen zu blicken, machte Josh schwindlig und angstvoll. Er berührte, wenn es zu arg wurde, eine der Hände neben sich und fand Ruhe.
    Jasmine spürte Joshuas Hand und drückte sie beruhigend. Er hatte so viel durchgemacht, dieser junge Mann – wie sie alle. Und trotzdem schien seine Probe erst bevorzustehen.
    Sie würden das Kind vernichten müssen, das stand für Jasmine fest. Zuviel an Macht wurde durch dieses eine kleine Wesen gebündelt – das Kind war dem nicht gewachsen, woher sie auch kommen mochten, diese Kräfte, welcher Art sie auch waren.
    Und wie sah es dann mit Joshua aus? fragte sie sich. Konnte man darauf zählen, dass er mithelfen würde? Mitwirken bei der Vernichtung seiner eigenen Tochter? Kind des Wahnsinns und der Leere, das Äußerste an genetischem Ungeheuer, jeder Kontrolle entglitten. Jasmine dachte an die Folge von Ereignissen, die den Planeten an diesen Abgrund geführt hatten: genetische Ingenieure bei der Erzeugung von Träumen und Mythen einer Kultur, die vor Verzweiflung und Chaos explodierte, bis aus der Asche des Weltenbrandes die Traumtiere und Mythendämonen erstanden waren, welche die Erde unterjocht und sich auf die Brust getrommelt und gewütet hatten. Und nun waren sie selbst darangegangen, Gene zu manipulieren, die sie bestimmten – hatten die fremdartige, selbstzerstörerische Königin geschaffen, die ein Kind herbeibeschworen und zur Welt gebracht hatte … das Kind. Das unergründliche Kind, das sie alle vernichten würde, wenn sie ihm nicht zuvorkamen. Träume aus Träumen in Träumen. Jasmine schüttelte den Kopf und hielt Joshuas Hand fest. Sie konnte es nicht mehr fassen.
    Sie blickte hinaus in die Nacht und suchte nach der fernsten Galaxie, die ein schwaches Lichtpünktchen am westlichen Himmel war. Viele der Sonnen dort waren zahllose Äonen zuvor

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