Neue Zeit und Welt
die Nacht.
Beauty erwachte als erster. Er versuchte sich zu bewegen, aber die Schmerzen in den Beinen waren so heftig, dass er wieder ohnmächtig wurde. Das Mammut kam kurz danach zu sich. Es wollte sich bewegen, aber es ging nicht – durch Ollies Stoß mit dem Messer, das tief genug eingedrungen war, um zwei Halswirbel voneinander zu trennen, reichte die Lähmung vom Hals durch den ganzen Körper und betraf nur das Gehirn nicht. Das Mammut hob den Kopf, um zu brüllen, aber der Pfeil schmerzte so stark, dass es nur wimmern konnte. Es erschlaffte.
Beauty wurde wieder wach und sah die Bewegung, stellte fest, dass das Untier immer noch nicht tot war, drehte sich vorsichtig, behutsam herum, zog wieder einen Pfeil aus dem Köcher, um das Mammut zu töten.
Endlich kam Ollie zu sich. Er rutschte von dem großen Felsblock herunter, untersuchte sich kurz nach Schäden, fand nichts Ernsthaftes, hob den Kopf und sah, dass Beauty im Begriff war, einen Pfeil auf den langsam atmenden Leib des gefällten Mammuts abzuschießen. Er lief auf Beauty zu und schlug ihm den Bogen aus der Hand. Der Pfeil schlitterte auf dem Eis dahin.
»Warum … warum hast du mich zurückgehalten?« zischte Beauty. »Die Bestie lebt noch.«
»Unternimm nichts!« schrie Ollie. »Wir brauchen sie vielleicht noch!« Er trat von hinten an das Tier heran, sein Messer in der Hand, und drückte an verschiedenen Stellen auf den Körper des Tieres. Manchmal rührte sich nichts, bei anderen Gelegenheiten knurrte das Wesen und riss den Kopf herum. Endlich hatte Ollie sich vergewissert, dass das Mammut in der Tat gelähmt war.
Er ging zu Beauty zurück und untersuchte dessen Beine.
»Sieht schlecht aus«, sagte er.
Beauty blickte zum ersten Mal prüfend auf seine Beine; sie sahen aus wie Äste, winklig, geknickt. Er sah zu Ollie auf.
»Lass mich liegen. Nimm die Phiole und geh.«
Ollie sah die blauen Lippen und zerquetschten Beine seines alten Freundes. Er schüttelte den Kopf.
»Ich komme schon durch«, sagte Beauty. »Bei dieser Kälte schmerzen die Brüche nicht.«
»Pass auf«, sagte Ollie. Er packte Beauty unter den Schultern und zerrte ihn herum zur anderen Seite des schlaff liegenden Mammuts. Die Schmerzen waren so groß, dass Beauty erneut das Bewusstsein verlor und froh darüber war.
Ollie griff nach seinem Messer und schnitt den Bauch des Mammuts unter dem Brustbein auf, erweiterte mit stoßenden, hackenden Schnitten die Öffnung, schlitzte den ganzen Bauch auf. Die dampfenden Eingeweide quollen heraus.
Da das Rückenmark durchtrennt war, verspürte das Riesentier jedoch keine Schmerzen. Unter großer Anstrengung – die eigenen Hände waren gefühllos und blau angelaufen – zerrte Ollie Beauty, der nicht zu sich kam, in den Bauch und stopfte ihn ganz hinein. Bald ragte nur noch der Kopf des Zentauren aus der gewaltigen Bauchhöhle. Ollie stieg selbst hinein und zwängte sich zwischen die warmen, glitschigen Gedärme. Als nur noch sein Kopf in den eisigen Sturmwind hinausragte, zog er die beiden zottigen Hautlappen zusammen und schloss die Öffnung. Er steckte Beautys Pfeilspitzen mit ihren Widerhaken durch die Wundränder und verschloss die klaffende Wunde so von innen.
Als Wind und Kälte noch zunahmen, zog Ollie sogar seinen und Beautys Kopf hinunter und ließ nur Münder und Nasen frei, damit sie Luft bekamen.
Und so verbrachten sie die Nacht: unruhig schlafend, aus ihrem Unterschlupf tief in den Eingeweiden des Mammuts die bitterkalte Luft in sich hineinsaugend. Sie waren erschöpft und gepeinigt, aber endlich warm. Wenn Beauty sich nicht regte, spürte er keine Schmerzen. Schließlich nahmen sie von der langen Nacht nur noch den heulenden Wind draußen wahr, die langsame, beinahe friedliche Atmung des Ungetüms im Inneren und seinen Herzschlag, das rhythmische, dröhnende Mmm-mmp, das sie einhüllte und ausfüllte und endlich in den Schlaf wiegte.
Als Ollie erwachte, bemerkte er als erstes, dass das Herz des Mammuts stillstand, dass der Gigant nicht mehr atmete. Er klappte die Wundränder auseinander und rollte hinaus in gut einen halben Meter Schnee.
Der Wind blies immer noch heftig, aber es schneite nicht mehr. Der Tag war sonnig. Ollie wusch sich mit dem trockenen Schnee Blut und Schleim ab und hüllte sich in den Mantel, den er während der Nacht ausgezogen hatte. Trotzdem erstarrte sein Gesicht nach wenigen Sekunden. Die Finger konnte er nur dadurch geschmeidig erhalten, dass er sie unaufhörlich bewegte.
Beauty
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