Neues Glück für Gisela
verändertes Wesen? Er war doch wohl nicht eifersüchtig? Aber sie schob diesen Gedanken weit von sich. Nein, so war Willi doch nicht. Eine so niedrige Eigenschaft wie Eifersucht lag ihm fern. Ganz bestimmt.
Sie fühlte sich erneut sicher und antwortete in leichtem Ton: „Aber nein. Du bist doch der Vater dieser ganzen Bande!“
„Es ist der Bande vielleicht aufgegangen, daß es nicht so übel ist, auch eine Mutter zu haben“, sagte Willi, und seine Stimme war gedämpft.
Wieder suchte Gisela seine Augen. Aber sein Gesicht war ganz ruhig und ausdruckslos. Es war Gisela nicht klar, ob seine letzten Worte ihr Herz klopfen ließen vor Freude oder vor Trauer.
Nach dem Kaffee kam ein Taxi und holte sie ab. Sie drückte achtundzwanzig warme Bubenhände, sagte Lebewohl und vielen Dank zu Schwester Ruth, Tante Marthe, der Köchin und dem Küchenmädchen. Willi behielt zum Schluß ihre Hand lange in der seinen. „Liebe Gisela…“, sagte er.
Dann setzte er ihren Koffer in das Taxi und half ihr hinein.
Die Tür flog zu, und das Taxi fuhr ab. Gisela beugte sich aus dem Fenster und winkte. Die Bubenschar, mit Willi an der Spitze, winkte zurück.
Verzeih mir, Gisela!
Gisela hatte alle Hände voll zu tun. In der Schule war man mitten im Zwischenexamen. Gisela korrigierte Aufsätze und englische Aufgaben bis tief in die Nacht. Aber es war nicht nur die Schularbeit, die sie beschäftigte. Sie führte eine ausgedehnte Korrespondenz mit Ravensund. Es war viel und vielerlei, das für Weihnachten eingekauft werden sollte, und sie wollte große Einkäufe nicht in Hoyfoss vornehmen. Denn Hoyfoss war eine Kleinstadt, und es wurde mehr geklatscht als gut war.
Am Abend, wenn die Korrekturen erledigt waren, stand Gisela mit weißer Schürze und Kopftuch in der Küche und buk Schmalzgebackenes, Mürbeteigkuchen und anderes mehr, nach Mamas guten alten Rezepten. Darüber hinaus hatte sie noch eine eilige Strickarbeit. Es eilte sogar sehr. Denn wenn etwas in festlicher Verpackung unter dem Weihnachtsbaum liegen sollte, dann war es bestimmt dieser Pullover.
Die Tage flogen dahin. Sie hatte einfach keine Zeit, Siebeneichen aufzusuchen. Sie hatte sich gesagt, wenn sie nun einmal den Lehrberuf ergriffen hatte, so mußte sie die Konsequenzen daraus ziehen und ihn so gut ausfüllen, wie sie vermochte. Und sie ersparte sich auch keine Mühe. Jede Examensaufgabe wurde gründlich und gewissenhaft begutachtet. Sie besprach sich mit den Kollegen, sie legte all ihren guten Willen und ihr Ehrgefühl in ihren Beruf, und sie tat dies gerade deshalb, weil es ihr peinlich klar war, daß dies im Grunde durchaus nicht ihre eigentliche Berufung war. Was sie am liebsten getan hätte, wäre das gewesen: alles stehen und liegen lassen und nach Siebeneichen fliegen. Aber das tat sie also nicht.
Dagegen bekam sie eines Tages Besuch aus Siebeneichen. Das war weder Willi noch einer der Jungen, sondern Schwester Ruth.
Gisela schob die Arbeit beiseite, machte Kaffee und tischte Kostproben des Weihnachtsgebäckes auf. Sie mochte Schwester Ruth gern und war sehr dankbar für all die Pflege und Betreuung, die sie von ihr erhalten hatte, als sie hilflos in Siebeneichens Krankenzimmer lag.
„Sie sehen aus, als ob Sie etwas auf dem Herzen hätten, Schwester Ruth“, lächelte sie. „Schießen Sie los!“
„Ja, wissen Sie, ich komme tatsächlich mit einer Bitte, Fräulein Ryssel. Es ist schrecklich frech von mir…“
„Aber nicht die Spur“, lachte Gisela, „nur heraus damit!“
„Die Sache ist die: Meine Mutter ist krank“, erklärte Schwester Ruth, „sie möchte mich so furchtbar gern an Weihnachten bei sich haben, bloß am Weihnachtsabend und die beiden Feiertage. Ich könnte dann gleich am Abend des zweiten Feiertags zurückkommen, aber es ist ja so, daß…“
„Wenn’s weiter nichts ist“, sagte Gisela, „ich werde die Kleinen schon waschen und zu Bett bringen, wenn, es das ist, woran Sie denken. Ich werde sie an-, aus- und erziehen und ermahnen und aufs Töpfchen setzen und Märchen erzählen. Was kann ich noch mehr tun?“
„Nein, das genügt schon“, sagte Schwester Ruth. „Ich werde dafür sorgen, daß Wäsche und Kleider sauber und heil sind und…“
„Ja, ich tue es liebend gern“, versicherte Gisela, und etwas Wahreres hatte sie nie gesagt. Es fuhr ihr durch den Kopf, daß sie an diesen Tagen natürlich in Siebeneichen wohnen mußte, dazu war sie gerade gezwungen.
Als Schwester Ruth sich mit vielen Danksagungen
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