Neues Glück für Gisela
Gisela seufzte ein bißchen. Es würde natürlich viel schöner und stimmungsvoller mit Wachskerzen gewesen sein, aber das war allzu gefährlich.
Jetzt wurde noch Engelhaar und Lametta von der Spitze über alle Zweige gezogen, wie ein schimmernder, leuchtender Schleier.
Dann kam das Allerletzte. In kleine Körbchen aus Silberpapier wurden Nüsse und Schokoladensternchen gelegt, und es gab viele solcher Körbchen, für jedes Kind und jeden Erwachsenen eines.
Dann packte sie die großen Schachteln aus, die auf einem Tisch in der Ecke standen. Pakete, in Weihnachtspapier verpackt, mit roten und grünen Bändern und mit hübschen kleinen Anhängeschildern geziert, wurden in großen Haufen unter den Baum gelegt.
Sie strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, ging bis zur Tür und betrachtete von dort kritisch ihr Werk.
Oh, wie verändert war das Zimmer! Wie es glänzte und glitzerte! Wie sich die Kinder freuen würden! Jetzt klopfte es wieder.
„Gisela!“ Es war Willis Stimme. „Darf auch ich nicht…“ Sie drehte den Schlüssel herum, öffnete die Tür einen Spalt breit und steckte ihren zerzausten Kopf hinaus.
„Nein, auch du darfst nicht. Heute mußt du dich damit abfinden, der größte Junge zu sein und sonst gar nichts.“
„Bist du denn nicht hungrig?“
„Wie ein Wolf.“
„Der Milchreis ist fertig.“ Sie versperrte die Tür wieder und nahm den Schlüssel mit sich. Dann band sie sich die Schürze ab. Heute wurde zeitig zu Mittag gegessen, nur Milchreis, dann hatten sie alle einen kräftigen Appetit zur Festmahlzeit am Abend.
Es gab Gelächter und erwartungsvolle Stimmung bei Tisch. Bei Willi war nichts mehr zu spüren von dem Unbeherrschten, Finsteren und Bitteren, das er vor einigen Tagen gezeigt hatte. Er war voll von Spaßen, Lustigkeit und Neckereien und riß die Jungen mit seiner Munterkeit mit.
Oh, wie viel hatte Gisela doch zu tun! Glücklich vor sich hinsummend pusselte sie zwischen Wohnzimmer, Speisesaal, Küche und Spielzimmer hin und her und war außerdem zwischendurch eine rasche Tour im Krankenzimmer, wo sie wohnte. Obwohl sie so stark beschäftigt war, schien es ihr, die Stunden schlichen im Schneckentempo dahin.
Aber endlich war es dann doch Weihnachtsabend.
Er begann zeitig, mit Rücksicht auf die Kleinsten. Der Nachmittagstee wurde im Speisesaal getrunken, und Gisela hatte die Tische mit Kerzen und Blumen und hübschem Service gedeckt. Dann hatten die Buben den Tisch abgeräumt, und jetzt stand Gisela einen Augenblick allein im Wohnzimmer mit dem strahlenden Christbaum.
Ein letzter prüfender Blick. Ja, alles war in Ordnung. Sie streckte die Hand nach der Glocke aus, mit der sie läuten sollte. Dann änderte sie plötzlich ihren Entschluß. Sie stand einen Augenblick mit gefalteten Händen da, sie mußte heute um etwas beten, um etwas, das sie sich am meisten auf der Welt wünschte.
Aber was war es, das sie sich am meisten wünschte?
Von dem Mann geliebt zu werden, den sie selbst liebte? Aber darum durfte sie doch nicht bitten, das wäre bloß ein Unglück für ihn gewesen. Ihre Lippen bebten. Sie drückte ihre Hände fest aneinander und flüsterte vor sich hin: „Gib mir, ach, gib mir die Lösung für das, was nicht zu lösen ist…“
Dann streckte sie die Hand nach der Glocke aus, und ein helles Tönen war im ganzen Haus. Die Türen wurden aufgerissen, und die Jungen strömten herein, ihr entgegen. Achtundzwanzig frohe Kindergesichter, achtundzwanzig Paar blanke Augen, Trampeln von sechsundfünfzig eifrigen Bubenfüßen.
Hinter dieser Schar kamen Willi und Tante Marthe, die Köchin Lisa, das Küchenmädchen, alle die Menschen, die sie liebgewonnen hatte.
Ein tiefes, warmes Glück erfüllte sie, eine unendliche Dankbarkeit, weil es in ihre Macht gegeben war, diesen Menschen so einen wunderschönen Weihnachtsabend zu bereiten.
Sie reichten sich die Hände und schritten in zwei Kreisen rings um den Christbaum, und die Kleinen stritten sich darum, wer Tante Gigi bei der Hand halten durfte. Ein Weihnachtslied nach dem anderen wurde gesungen, der Christbaum sprühte tausend Sternchen, und die Blicke schweiften zu dem Geschenkhaufen.
„Also jetzt“, sagte Willi, „jetzt singen wir noch ein Weihnachtslied, und dann bin ich dran, Tante Gigi bei der Hand halten zu dürfen. Findet ihr nicht?“
Doch ja, es wurde gnädigst bewilligt. An ihrer anderen Hand hielt Gisela Rolf. Ihre Hände faßten zärtlich die beiden „Männerhände“ – die breite und kräftige
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