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Neues Glück für Gisela

Neues Glück für Gisela

Titel: Neues Glück für Gisela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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zur Ernährungslehre.“
    „Hast du dir immer eine solche Stellung wie diese gewünscht? Ich meine, weil du deine ganze Ausbildung darauf ausgelegt hast?“
    „Im Grunde ja. Das heißt, erst wollte ich Realschullehrer werden, daher die Philologie. Aber später bekam ich mehr Interesse für elternlose Kinder, und dann, ja, das ist nicht weiter spannend, dann landete ich also hier auf Siebeneichen, und ich bin froh darum.“
    „Was sagten denn deine Eltern dazu, als du diesen Beruf wähltest?“
    „Meine Eltern sind tot“, antwortete Willi kurz, und es war etwas in seinem Ton, das Gisela verbot, mehr zu fragen.
    Es entstand eine Pause, eine etwas ratlose Pause. Willis Gesicht war ganz ohne Ausdruck. Aber dann war es, als ob er etwas abschüttelte, und sein gutes Lächeln kam zurück.
    „Wie geht es dir denn, Gisela? Wie fühlst du dich?“
    „Als ob ich eine tüchtige Tracht Prügel bekommen hätte“, lachte Gisela. „Du ahnst nicht, wie viele Wehwehchen mein Körper überall hat. Aber eines ist sicher, in ein paar Tagen fange ich wieder in der Schule an.“
    „Das kommt darauf an, was der Doktor sagt“, meinte Willi streng. Wieder glitt sein Blick über den Morgenrock, den Koffer und die Toilettensachen. Dann stand er auf, und es war etwas Müdes, Resigniertes in seinen Bewegungen.
    „Nun also, ich wollte nur gerade bei dir hereinschauen. Habe eine Menge zu tun. Mach’s gut solange!“ Die Tür schloß sich hinter ihm, und Gisela starrte nachdenklich vor sich hin. Warum war er heute so kurz angebunden, ja beinahe verschlossen. Warum wollte er nicht von sich selbst erzählen; sie hatten so viele interessante Gespräche gehabt, sie besaßen beide die große Liebe zu Kindern und Interesse für Kinder, und es war so schrecklich nett gewesen, bei den Veränderungen und Verbesserungen auf Siebeneichen mitzuhelfen. Aber nie war Willi auch nur mit einem Wort auf sich selbst zu sprechen gekommen. Bisher hatte Gisela nicht einmal gewußt, daß er Philologie studiert hatte.
    Niemals hörte sie ihn sagen: Damals, als ich klein war – oder: Ich erinnere mich, einmal als Kind… Was war denn mit Willi, warum wollte er nie von sich selbst sprechen? War es Bescheidenheit? Ach, lieber Himmel, wenn er nur wüßte, wie gern sie alles von ihm über ihn erfahren wollte, alles! Plötzlich tauchten einige Zeilen eines Gedichts in Giselas Gedächtnis auf:
    Ich möchte alles hören, alles wissen, von deiner Kindheit bis zu diesem Tag, und keine Kleinigkeit will ich vermissen von jedem Traum, von jedem Herzensschlag.
    Gisela lehnte sich im Stuhl zurück und schloß die Augen. Es erging ihr so, wie es einem oft ergeht, wenn man krank und schwach ist und mitgenommen, gerade dann kommen die Gedanken gestürmt, überwältigen einen, gerade da hat man keine Kraft, sie zu kontrollieren und unerwünschte Gedankengänge zurückzudrängen oder abzuschalten.
    Sie versuchte sich ihr Dasein vorzustellen ohne Siebeneichen, ohne Willi, ohne die Jungens, und ihr Herz stand still bei diesem Gedanken. Großer Gott, was sollte sie dann nur tun? Dieses Siebeneichen war ja ihr Glück, ihr ganzer Lebensinhalt geworden.
    Bisher hatte sie sich hundertmal gesagt, es sei eine riesig nette Freundschaft zwischen ihr und Willi. Aber nun, in diesen einsamen Nachmittagsstunden, wo sie soviel Zeit zum Denken hatte, nun drängte sich ihr die Wahrheit unbarmherzig ins Bewußtsein. Es war etwas ganz anderes und viel mehr, was sie für diesen Mann fühlte.
    Mit Verwunderung mußte sie erkennen, wie Andreas aus ihrem Herzen verschwunden war. Andreas, der so gut war, ein Ehrenmann durch und durch, Andreas, der sie so liebgehabt hatte! Aber hatte sie ihn auch liebgehabt? So ganz richtig liebgehabt?
    Doch, auf eine gewisse Weise schon. Aber die Liebe, die sie für ihn gefühlt hatte, zu der war sie eigentlich allzu leicht gelangt. Alles war so selbstverständlich gewesen, war so glatt gegangen. Es war keine Liebe, die Hindernisse überwinden und sich den Weg durch Kummer und Tränen erkämpfen mußte. Die Liebe zu Andreas war nicht gestählt worden durch Widerstände und Schwierigkeiten, darum war sie auch nicht sehr lebenskräftig. Darum war sie auch verhältnismäßig leicht über den Bruch mit Andreas hinweggekommen.
    Es war nicht der Verlust von Andreas, der ihr damals den wilden Schmerz verursacht hatte, jenen Schmerz, der immer tiefer in ihrem innersten Herzen nagte, der nun wieder zum Leben erwacht war, nur noch viel stärker als zuvor.
    Gisela war ganz ehrlich

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