Neugier und Übermut (German Edition)
schönen Formen. Für ihn spielten die Form eine Rolle und der Klang. Price klopfte auf die Metallstücke, mache klangen klar wie japanische Glocken am Kirschblütenbaum. In seinem Atelier stellte er Skulpturen her, Klangkörper oder Masken, die an Kachinas, die Holzfiguren der Hopi-Indianer, erinnerten oder an Picassos kubistische Bilder, die von afrikanischen Holzmasken beeinflusst waren. Die Augen können aus großen Schrauben geformt werden, die Nase aus Röhren, der Rest aus allerlei Metallstücken. Kachinas haben schon Künstler wie Marcel Duchamps oder Max Ernst gesammelt – und angeregt.
Bei unserem Besuch auf dem Platz hatte Tony Price nur wenige, in seine Vorstellung passende, Teile gefunden. Er wusste noch nicht, wie er sie zusammensetzen würde. Manchmal sammelte er monatelang, bis er genügend Material für eine neue Skulptur zusammengeklaubt hatte. Er zahlte für 64 Pfund Metall ganze 32 Dollar. Das schien nicht viel, doch bis er genügend Einzelteile für eine Skulptur gekauft hatte, kamen schon mehrere Tausend Dollar zusammen.
»Die Atombombe«, sagte er in unsere Kamera, »hat fast jedem Menschen die ständige Bedrohung durch einen unnatürlichen Tod bewusst gemacht. Ich fühle mich deshalb als Künstler verpflichtet, aus dem Abfall friedliche Objekte zu schaffen, um auf den von Menschen geschaffenen Wahnsinn hinzuweisen.«
Tony Price hatte sich bald neues Gelände gekauft. Er brauchte viel Platz für seine Arbeit. Und es war billig hier. Denn viel Geld verdiente er nicht mit seiner Atom-Kunst. Um die Familie zu ernähren, stellte er für Touristen kitschige Indianerskulpturen her, die er kenntnisreichen Besuchern am liebsten gar nicht zeigte.
In den ersten Jahren achtete er nicht darauf, ob die Abfälle, die er verarbeitete, radioaktiv waren, und erst als ein Museum drei Skulpturen untersuchen ließ, stellte sich heraus, dass sie strahlten – angeblich in ungefährlichen Bereichen.
»Sehen Sie, ich habe alles in dem Haus aus Atommüll gebaut«, sagte er, »die Tische, die Stühle, sogar Besteck und Teller. Das Material der Massenvernichtungsbombe ist besser für Dinge des täglichen Lebens zu gebrauchen. Die Teller sind aus Titanium, und – hören Sie mal – wie wunderbar die tönen, wenn man dagegen klopft.«
Meistens half ihm seine Frau, die auch Künstlerin war, beim Aufbau der Figuren. Zwar bezeichnet Tony Price seine Kunstwerke als Brücke zwischen dem Materiellen und dem Geistigen, zwar beklagt er den Schrecken, der von der atomaren Zerstörung ausgeht, doch die ständige Nähe zu dem Bombenmaterial und der tägliche Umgang damit haben ihn fast zu einem zynischen Menschen werden lassen.
Auf einem Ausstellungsgelände nicht weit von Los Alamos entfernt standen einige Jahre lang riesige von ihm geschaffene Figuren aus »Atom-Müll«. Fabelwesen, an denen er fünf Jahre lang gearbeitet hatte. Ein reicher Unternehmer hat sie schließlich gekauft und wollte sie den Vereinten Nationen als Mahnmal schenken. Denn Tony Price nannte die Versammlung dieser Monster aus Röhren und anderem Metall seine »Vision der letzten Abrüstungsgespräche«.
»Dies alles gehört als ein Stück zusammen und stellt die letzten SALT-Gespräche dar«, sagte er. »Nachdem alle Menschen weggeblasen worden sind, setzen sich die Maschinen zusammen und besprechen, was sie mit dem Planeten machen sollen.« Er zeigte auf zwei besonders beeindruckende Figuren: »Das sind die zwei Großmächte. In der Mitte steht ein Engel als Schiedsrichter – mit gespaltener Zunge. Und daneben steht der Protokollführer der letzten SALT-Gespräche.«
Damals konnte Tony Price nicht ahnen, dass einer wie Gorbatschow kommen würde und die Atommächte wirklich abrüsten könnten, bevor sich alle Menschen weggeblasen haben.
Tony Price kalkulierte beim Bau seiner Skulpturen die Winde mit ein, die manch eines der Objekte zum Wackeln brachten. Und einige Röhren hatte er in Orgelpfeifen verwandelt, sodass die Luft die »Dinger« zum Sprechen brachte.
Die Stadt New York hat die Skulpturengruppe der letzten SALT-Gespräche lange Zeit im Battery-Park neben das monumentale Kriegerdenkmal des Zweiten Weltkriegs gestellt. Sie wurde dafür mit einem riesigen Sattelschlepper über mehrere Tage hinweg aus Texas in die Stadt gefahren. Und Millionen von Besuchern haben sie dann gesehen.
Bei dieser Gelegenheit trafen wir uns. Mein Bericht über seine Arbeiten aus den Metallen aus Atombomben für die Tagesthemen hatte ihm begeisterte Reaktionen aus
Weitere Kostenlose Bücher