Neugier und Übermut (German Edition)
US-Staatsbürger und arbeitete während des Zweiten Weltkrieges mit dem OSS, Vorläufer des CIA, zusammen.
Sein Ruhm als Psychiater ging um die Welt, als er im Auftrag Washingtons beim Nürnberger Prozess den Geisteszustand von Rudolf Hess, dem nach England geflohenen Stellvertreter Adolf Hitlers, untersuchte und feststellte, Hess leide unter Hysterie und gebe vor, sein Gedächtnis verloren zu haben. Aber Hess übertreibe, um sich selbst vor Strafe zu schützen: »Rudolf Hess is not insane – ist nicht geisteskrank.«
Schon bevor er in Nürnberg angekommen war, hatte Cameron ein Thesenpapier über die soziale Reorganisation Deutschlands veröffentlicht. Seine Analyse lautete, in den 30 Jahren nach 1945 würden die deutsche Kultur und das deutsche Volk die größte Gefahr für den Weltfrieden sein. Denn die Deutschen beteten strenge Ordnung und Befehle an, sehnten sich nach autoritärer Führung und hätten Angst vor anderen Ländern, die in Feindschaft umschlagen könnte. Er diagnostizierte, es läge in der Natur der deutschen Rasse, Grausamkeiten zu begehen.
Und damit stand er sicher nicht allein. Zur Zeit des deutschen Einigungsprozesses 1989/1990 hat die britische Premierministerin Margaret Thatcher genauso argumentiert wie auch der israelische Premierminister Yitzak Shamir: »… wenn sie wieder die Gelegenheit erhalten …« werden die Deutschen versuchen, es wieder zu tun. Und das war sogar 35 Jahre später!
In Nürnberg wurde als Folge der entsetzlichen Menschenversuche der Nazis festgelegt, dass in Zukunft solche Versuche nur mit Zustimmung von Patienten und keinesfalls zu ihrem Schaden vorgenommen werden dürften.
Professor Ewen Cameron war jedoch ein Besessener, ein überaus ehrgeiziger, autoritärer Wissenschaftler, der erforschen wollte, wie man den menschlichen Geist künstlich verändern kann. Er ließ sich auf ein Forschungsprogramm für die CIA ein, das von der Kanadischen Regierung mitfinanziert wurde.
An einigen Hundert Patienten machte Cameron seine Versuche, ohne dass die es wussten. Mit entsetzlichen Folgen. Vera Orlikow wurde eines seiner Opfer. Sie war gekommen, um sich wegen ihrer Depressionen behandeln zu lassen. Aber als sie den »Rabenfelsen« wieder verließ, hatte sie den Verstand eines Kleinkindes, erinnerte sich nicht mehr an ihr Leben mit ihrem Mann oder an ihre Kinder. Und so ging es vielen von Camerons Patienten. Einer beging sogar Selbstmord.
»Ich machte einen Selbstmordversuch, weil ich meinen Zustand einfach nicht mehr ertragen konnte. Ich fühle mich ständig abhängig«, sagte auch Vera bei unserem Besuch in ihrem Haus in Winnipeg, »Ich brauche andere Leute. Und außerdem leide ich unter chronischen Depressionen, die sich manchmal verschlimmern.«
»Bei jedem meiner vielen Treffen mit Professor Cameron«, so erzählte sie, »hatte ich Angst. Jedes Mal, wenn ich ihn im Sprechzimmer aufsuchte, fing ich an zu zittern. Jedes Mal, wenn er im Flur auftauchte, zitterte ich. Aber ich habe ihn bewundert.«
Besessen von der Möglichkeit, den menschlichen Geist manipulieren zu können, fand Cameron im amerikanischen Geheimdienst Gleichgesinnte. Die CIA glaubte damals, im Koreakrieg seien amerikanische Soldaten einer wirksamen Gehirnwäsche unterzogen worden. Und Chinesen wie auch Sowjets besäßen Fertigkeiten, die den USA in kriegerischen Auseinandersetzungen nützen könnten.
Unter dem CIA-Projekt »MK-Ultra« wurden so in den USA und in Kanada etwa tausend Menschen ohne ihr Wissen medizinisch missbraucht. Die Unterlagen wurden vernichtet, als die Gefahr bestand, die Öffentlichkeit könnte davon erfahren. Nur durch Zufall kamen zwanzig Jahre später einige falsch archivierte Akten über das Unter-Projekt 68 in Montreal ans Licht.
So erfuhr der Abgeordnete David Orlikow von den Gehirnwäscheexperimenten der CIA, und es gelang ihm, die Hintergründe aufzudecken. Seine Frau Vera beschloss daraufhin, gemeinsam mit acht anderen Opfern die CIA zu verklagen. Und, um es kurz zu machen: Sie gewannen ihren Prozess, erhielten Entschädigungen vom CIA und der Kanadischen Regierung. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Geld, so hoch die Summe auch sein mag, ein zerstörtes Leben reparieren kann.
John Gittinger war damals bei der CIA verantwortlich für das Projekt »MK-Ultra« und begründet es so: »In der CIA standen wir unter starkem Druck, einen Weg für die Gehirnwäsche zu finden, nämlich um das Verhalten von Menschen entweder durch chemische, psychologische oder andere
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