Neugier und Übermut (German Edition)
Abseits zu stellen, was schließlich doch misslang. Erst zwei Jahre später, 1967, würde der Spruch »Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren« die Studenten begeistern.
Mit dem Muff war die Verstrickung von Professoren in die Zeit des 1000-jährigen Reichs gemeint, wie die Nazis ihre zwölf Jahre dauernde Gewaltherrschaft nannten. Und das autoritäre Denken prägte die Universitäten immer noch. Aber gegen dieses autoritäre Denken hatte ich aufbegehrt, und die Folge war schließlich das Gespräch im privaten Arbeitszimmer von Wolfgang Schmidt.
Die Angst vor Autoritäten hatte ich allerdings schon ein wenig verloren, als ich eines Tages – ich werde etwa vierzehn Jahre alt gewesen sein und hatte häufig Quatsch im Kopf – einen kindlichen Streich gegenüber dem Pfarrer der Gemeinde verübte. Nach dem Konfirmationsunterricht in Paris half ich dem geistlichen Herrn in den Mantel, hielt aber den linken Ärmel mit einer Hand zu, sodass der Mann verzweifelt mit dem Arm nach hinten herumstocherte, wobei er so ungelenk wirkte, dass die Konfirmanden in großes Gelächter verfielen.
Kinkerlitzchen, würde ich heute sagen. Aber mein Scherz endete mit einem Rausschmiss aus dem Konfirmandenunterricht – wegen Unreife. Und ich musste meinem Vater, als er abends nach Hause kam, einen Brief des zornigen Pfarrers überreichen. Der Vater las die Epistel, zuckte mit den Schultern, zeriss das Papier vor meinen Augen und warf es in den Papierkorb. Keine Schelte, keine Strafe, nichts. Lass uns zu Abend essen.
Was freies Denken bedeutet, hatte ich in den USA gelernt, wo ich dank eines Stipendiums der Fulbright-Commission 1962 und 1963 ein Jahr an der Wesleyan University in Middletown, Connecticut, verbringen konnte. Die Bewerbung um das Studium in Amerika war wohl eine Imitationshandlung, denn mein Vater hatte 1936 in den USA studiert und hinterher in einem Buch beschrieben, wie er als Hobo auf den Güterzügen quer durch das Land gereist ist – was John Steinbeck in »Früchte des Zorns« beschreibt –, wie er auf einem Schiffdeck nach Japan und China und schließlich als Smutje auf einem deutschen Frachter wieder in Deutschland gelandet ist.
In den USA erlebte ich eine freie Welt, während das Studium an der Universität in Bonn daraus bestand, sich anzuhören, was ein Professor eine Dreiviertelstunde lang – häufig genug äußerst langweilig – vortrug, und sich am Ende des Semesters ein Testat für das Studienbuch abzuholen, womit der Professor bestätigte, dass der Student seine Vorlesung besucht hat.
Es war in den USA völlig normal, dass Studenten und Professoren in Rede und Gegenrede die unterschiedlichsten Standpunkte diskutierten. Ein Professor setzte sich mit mir ins Studentencafé, um eine Seminararbeit zu besprechen, in der ich Brecht aus einem Werk zitiert hatte, das nicht ins Englische übersetzt worden war. Das kenne er nicht, weil er Texte in deutscher Sprache nicht lesen könne, sagte der Professor, ob ich ihm erklären würde, was Brecht da geschrieben habe. Dass ein deutscher Professor zugibt, etwas nicht zu wissen, war mir unvorstellbar. Hier aber war es üblich, nachzuhaken und infrage zu stellen.
Während der Kubakrise, als die Sowjets versuchten, Atomraketen auf Kuba zu stationieren, demonstrierten die Studenten gemeinsam mit den Professoren. Auf der einen Seite der Mainstreet in Middletown eine Minderheit von Antikommunisten, zu der ich gehörte, mit einem Transparent, auf dem stand: »Freiheit oder Kommunismus«, auf der andern Straßenseite diejenigen, die sich Liberale nannten und aus Angst vor einem Atomkrieg gegen die harte Haltung von Präsident John F. Kennedy Stellung bezogen. Schließlich war die Reichweite der russischen Raketen auf Kuba groß genug, um auch die Wesleyan University treffen zu können.
Wir demonstrierten auch, als die Universitätskantine, wo man gut aß, während der Herbstferien für eine Woche geschlossen wurde, und der Redakteur der Universitätszeitung nahm unseren Protest mit Foto in sein Blatt. Auch solche Toleranz war undenkbar in Deutschland!
Was hier üblich war, das erlebte ich, als ich an die Universität nach Bonn zurückkehrte.
In den USA hatte ich gelernt, dass Meinungsverschiedenheiten offen besprochen werden und man verantwortlich ist, für das, was man tut. So habe ich auch einen Satz von John F. Kennedy in meinem Gepäck mitgebracht: »Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag, was du für dein Land tun kannst.« Kennedy hat diese
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