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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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saß und der Philosophische Dekan mir erklärte, was ihn zu seinem Schritt bewogen hätte, habe ich etwas Wichtiges gelernt. Und das verdanke ich diesem Mann. Dass es gleichgültig ist, womit andere drohen, solange man seine Haltung und seine Meinung belegen und vertreten kann. Ich habe gelernt, was Mut bedeutet, und von da an versucht, immer danach zu handeln, mich nicht unter Druck setzen zu lassen, sondern wenn möglich dem Druck standzuhalten. Es hat nicht immer geklappt, aber im Zweifelsfall habe ich das getan, was ich für richtig hielt, und nicht das, was andere für richtig hielten. Oder was sie sich nicht zu vertreten wagten, obwohl sie es insgeheim auch für richtig hielten.
    Die Vorwürfe gegen den Germanisten und Rektor Hugo Moser waren minimal gegen das, was einem anderen Professor mit Lehrauftrag an der Universität Bonn vorgeworfen wurde: Siegfried Ruff. Er hatte an Menschenversuchen in Konzentrationslagern mitgewirkt.
    Im Braunbuch der DDR von 1965 stand über ihn: »An medizinischen Experimenten mit Häftlingen des KZ Dachau für faschistische Luftwaffe beteiligt, bei denen 70 bis 80 Menschen getötet wurden.« Das war nichts Neues. Schon 1947 hatte Eugen Kogon in seinem Buch »Der SS-Staat – das System der deutschen Konzentrationslager« über tödliche Menschenversuche berichtet. Als bekennender Gegner des Nationalsozialismus war Kogon 1939 in das KZ Buchenwald eingeliefert worden. Dort wurde er Arztschreiber des KZ-Arztes Erwin Ding-Schuler, der Versuche an KZ-Häftlingen vornahm. Durch seinen Einfluss auf den Arzt hat Kogon vielen Häftlingen das Leben gerettet, unter anderem Stéphane Hessel, berühmt wegen seiner 2010 erschienenen Streitschrift »Empört Euch!«, und geachtet, weil er nach dem Krieg als französischer Diplomat an der Menschenrechtskonvention der UNO mitgewirkt hat. Der KZ-Arzt Ding-Schuler wiederum rettete Kogon gegen Kriegsende das Leben, indem er ihn in einer Kiste aus Buchenwald herausschmuggelte.
    Kogon, der auch bei den Nürnberger Ärzteprozessen als Zeuge ausgesagt hat, schreibt in seinem Buch »Der SS-Staat« über Menschenversuche in Dachau, 80 Tötungen als Folge der Versuche »wurden von Dr. Ruff den beiden Generalstabsärzten Professor Hippke und Dr. Schöder, Inspekteure des Sanitätswesens der deutschen Luftwaffe, gemeldet.«
    Diese Veröffentlichungen hatten jedoch zu keinen Maßnahmen an der Universität Bonn geführt, auch nicht, als deren Rektor Prof. Hugo Moser wegen seiner Vergangenheit angegriffen wurde.
    Eine deutsche Illustrierte nahm das DDR-Braunbuch zum Anlass, um über Professor Ruff zu schreiben. Das las ein aufmerksamer Assistent am Physiologischen Institut der Universität Bonn, Dr. med. Alfred Jahn. Ein Mann mit Haltung. Er war in der DDR aufgewachsen, hatte dort immer wieder gegen die Autorität verstoßen, war bestraft worden und floh schließlich vor seiner Verhaftung 1963 in die Bundesrepublik. Er war entsetzt darüber, was er über Ruff las, und trug seinen Studenten im Unterricht vor, welche Forschungsergebnisse durch grausame Versuche an Menschen in deutschen Konzentrationslagern zustande gekommen waren. Und er zeigte sich entsetzt, dass an der Bonner Universität ein Mann lehrte, der an solchen Versuchen beteiligt gewesen war. Es handelte sich um Professor Siegfried Ruff, Leiter des Instituts für Flugmedizin.
    Die Sache kam aber erst durch einen Zufall ins Rollen. Denn ein Student, der in der Unterrichtsstunde von Dr. Jahn die Vorwürfe gegen Prof. Ruff gehört hatte, erzählte dies einem Freund, der wiederum die Tochter von Prof. Ruff kannte und sie mit den Tatsachen konfrontierte. Tochter Ruff, die auch Medizin studierte, machte Dr. Jahn schwere Vorwürfe, weil er die Ehre ihrer Familie besudelt habe. Alfred Jahn fragte: »Und was halten Sie von der Ehre der Leute, die in den Lagern des Dritten Reichs eingesperrt waren?« Kurz darauf erhielt er ein Schreiben von Ruffs Rechtsanwalt, Jahn solle eine Gegenerklärung abgeben. Das tat er jedoch nicht.
    Als ich von den Vorwürfen hörte, wurde ich wieder aktiv: Die Sache gehörte in das Studentenparlament. Deshalb fragte ich Alexander Mitscherlich, welche Kenntnis er aus den Nürnberger Prozessen über Prof. Ruff habe.
    Mitscherlich war im Dritten Reich für kurze Zeit in die Schweiz emigriert, als er 1937 zurückkam, wurde er für acht Monate von der Gestapo in Haft genommen. 1946 beauftragten ihn die Ärztekammern der drei Westzonen mit der Leitung einer Kommission zur Beobachtung der

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