Neugier und Übermut (German Edition)
Universität und das »damals Übliche« einzuladen. Der Beschluss wurde mit knapper Mehrheit angenommen, doch niemand wollte die Organisation der Diskussion übernehmen. Alle fürchteten sich vor dem Zorn der Professoren. So musste ich als Antragsteller den Job übernehmen, was mir nur recht sein konnte. Allerdings fragte mich der Präsident des Studentenparlaments: »Wickert, wollen Sie denn hier Examen machen?«
Die Diskussion fand nicht statt.
Als ich beim Rektorat anrief, um einen Hörsaal für die Veranstaltung zu bestellen, antwortete mir der zuständige Regierungsamtmann: »Ich kann nur annehmen, dass Sie scherzen.«
Unter dem Druck von Professoren entzogen die Studentenvertreter mir das Vertrauen, ich hätte ohnehin mit einem Disziplinarverfahren zu rechnen. Das klang lächerlich, war aber angesichts der Umstände, unter denen später doch noch ein Verfahren gegen mich auf den Weg gebracht wurde, symptomatisch.
Und deshalb saß ich nun vor einer Tasse Tee bei Professor Schmidt. Von ihm erfuhr ich, dass im Akademischen Rat beantragt worden war, mich der Universität zu verweisen. Mir wurde vorgeworfen, den Ruf der Universität geschädigt zu haben.
In einem kleinen Kreise fand in dem Hinterzimmer einer Bonner Gastwirtschaft dann doch noch ein Gespräch statt. Rudolf-Walter Leonhardt, die Professoren Harry Meier und Richard Alewyn, die sich gegen den Rektor gestellt hatten, nahmen daran teil, einige wenige Studenten wie auch der damalige Chefredakteur der Studentenzeitschrift Civis , Ulrich Frank- Planitz. Später würde er erfolgreicher Chef der Deutschen Verlagsanstalt sein, die Bücher meines Vaters verlegen, und mir ein Freund werden, an dessen Grab zu sprechen, mir 2011 die traurige Aufgabe zufiel.
Das Treffen im Verborgenen blieb ohne Widerhall, was mir gar nicht gefiel.
Bei den Studenten verlief sich die Angelegenheit, und als ich die Diskussion noch einmal ins Studentenparlament bringen wollte, war das Gremium beschlussunfähig. Die meisten waren Bier trinken gegangen.
Nicht ganz so verlief es bei den Professoren. Denn ich verfasste eine Chronologie der Ereignisse, wie die Universität die Diskussion über »das damals Übliche« verhinderte, und sie erschien unter meinem Namen in der Frankfurter Rundschau . Solche Widerborstigkeit war damals nicht üblich.
Über die Reaktion in den Gremien der Universität wollte mich der Dekan der Philosophischen Fakultät nun aufklären, damit ich den Stand der Dinge kannte.
Es wurde der Antrag gestellt, den Studenten Wickert wegen seines, den Ruf der Universität beschädigenden, Artikels zu relegieren, was das Ende meines Studiums bedeutet hätte. Ich war damals 23 Jahre alt. Keine andere Universität in Deutschland hätte mich nach dem Rauswurf in Bonn aufgenommen. Die Relegation war damals ein Makel, der einer Ächtung gleichkam, so als würde heute nachgewiesen, dass man seine Doktorarbeit plagiiert hat.
Doch als der Antrag gegen Wickert diskutiert wurde, erhob der sonst so ruhige Altphilologe Schmidt das Wort im Senat. Er sprach ernst. Er sprach lang. Er sprach ein wenig lauter als sonst. Und was daraufhin geschah, erzählte er mir nun in seinem Arbeitszimmer.
Vor ihm lag das seitenlange Manuskript, das er in der Nacht geschrieben hatte. »Darin steht alles, was gesagt wurde«, sagte er mir, »und ich habe alles aufgeschrieben, damit ich es im Notfall verwenden kann.«
Im Akademischen Rat hatte er dem Rektor gedroht, es seien im Dritten Reich und auch schon vorher im 19. Jahrhundert immer wieder Studenten, ja sogar Professoren relegiert worden. Thomas Mann wurde im Dritten Reich die ihm 1919 verliehene Ehrendoktorwürde der Bonner Universität wieder aberkannt. Und sollte die Universität nicht alle Maßnahmen einstellen, die gegen den Studenten Wickert geplant seien, dann werde er, Wolfgang Schmidt, unter öffentlichem Protest vom Amt des Dekans der Philosophischen Fakultät zurücktreten und eine von ihm verfasste Dokumentation der Affäre an den Spiegel schicken.
Die Drohung hat gewirkt.
Der Rücktritt des Dekans, die mögliche Veröffentlichung im SPIEGEL wegen der Auseinandersetzung um die Vergangenheit des Rektors im Dritten Reich hätten die Aufregung, die schon fast abgeklungen war, wieder entfacht, neues Öl ins Feuer gegossen.
Alle Maßregelungen gegen mich wurden eingestellt.
Nun war Schmidt stolz. Und ich sprachlos.
Es war ein unvergesslicher Moment. Denn in der Stunde, in der ich im Arbeitszimmer des Professors Wolfgang Schmidt
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