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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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»NS-Ärzteprozesse« in Nürnberg in der Hoffnung, er werde die deutsche Ärzteschaft von dem Vorwurf der »Kollektivschuld« befreien.
    Auch Siegfried Ruff war in Nürnberg angeklagt worden. Auf die Frage, ob er keine Bedenken gehabt hätte, mit Häftlingen zu experimentieren, sagte er: »Juristische Bedenken hatte ich keine, denn ich wusste, dass der Mann, der die Genehmigung zu diesen Versuchen von Staatsseite aus gegeben hatte, Himmler war.« Ruff wurde daraufhin freigesprochen.
    Entsetzt über das, was er über die Verbrechen deutscher Ärzte in den Konzentrationslagern erfuhr, gab Mitscherlich 1947 eine Dokumentation »Diktat der Menschenverachtung: Der Nürnberger Ärzteprozess und seine Quellen« heraus. Damit tat er genau das Gegenteil von dem, was die deutschen Ärztekammern von ihm erwartet hatten.
    Sein Buch über das menschenverachtende Verhalten deutscher Ärzte aber wurde nie bekannt. In keiner Buchhandlung war es 1947 zu finden. Mitscherlich vermutete, es sei von den Ärztekammern heimlich aufgekauft worden. Wegen dieser »Nestbeschmutzung« wurde Alexander Mitscherlich von der Ärzteschaft geächtet. Er, der nach dem Krieg zum Vater der Psychoanalyse in Deutschland werden sollte, wurde nie an eine medizinische Fakultät berufen. 1960 gab er die Dokumentation über die Menschenversuche als Taschenbuch erneut heraus – diesmal mit großem Echo. Auf meine Nachfrage schrieb mir Mitscherlich: »Professor Ruff war Zeuge von sogenannten ›terminalen‹ Versuchen, d. h. Menschenversuchen, die auf die Tötung des Opfers hin angelegt waren … Aus diesem Grunde halte ich es für unerträglich, dass ein Mann wie Professor Ruff an einer unserer Universitäten mit Lehre beauftragt ist.«
    Entsprachen die tödlich endenden Menschenversuche an KZ-Häftlingen, die Professor Siegfried Ruff zu verantworten hatte, auch nur dem »damals Üblichen«?
    Diese Frage stellte ich als Studentenparlamentarier in einem Brief dem Rektor Hugo Moser, erhielt aber nie eine Antwort. Also verteilte ich den Brief als Flugblatt in der Mensa. Diesmal entschied auch das Studentenparlament, die Abberufung Ruffs zu verlangen. Es wurde immer wieder vor seinem Institut demonstriert, bis er von sich aus im März 1966 den Lehrauftrag zurückgab.
    Arbeitslos wurde er sowieso nicht: Er war Leitender Arzt bei der Lufthansa, beriet beim Aufbau der Luftwaffe und wurde 1969 schließlich Vorstandsmitglied in der Deutschen Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt.
    Dem Assistenten Dr. Jahn wurde von Bonner Professoren für seinen Angriff auf Professor Ruff eine persönliche Motivation untergeschoben: Futterneid. Und zur Strafe wollte man ihm seine Unterrichtsstunden kürzen. Dr. Jahn wird später als Arzt ein Vorbild werden, weil er auf eigene Kosten in der Dritten Welt, besonders in Afrika, viele Kinder durch seinen Einsatz rettete. Eine Stiftung trägt heute seinen Namen.
    Wolfgang Schmidt ist zwei Jahre nach seiner Emeritierung von der Bonner Universität, 1980, gestorben. Vielleicht hatte er unser Gespräch in seinem Arbeitszimmer längst vergessen.

    Erst 1999 beschloss der Senat der Bonner Universität, Relegationen und Aberkennungen des Doktorgrades während des Dritten Reichs als menschenverachtend zu verurteilen.
    Die Bonner Universität, die mich bat, am 9. Juli 2005 bei der ersten Absolventenfeier, in der tausend Studenten in Talar und mit Barett ihre Diplome in Empfang nahmen, die Festrede bei schönstem Sonnenschein im Hofgarten zu halten ist eine andere als die von damals. Ich nahm die Einladung mit Vergnügen an und erzählte den Diplomanden, die dreißig Euro gezahlt hatten, um einen Talar und ein Barett auszuleihen, dass wir zu meiner Studienzeit nur einen Spruch kannten: »Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren.« Da lachten sie alle. Denn es ist jetzt wirklich eine andere Universität.

Neugier als Lebensinhalt
    Es ist ein Wunder, dass ich beim Fernsehen gelandet bin.
    Denn erstens wollte ich nie Journalist werden. Und zweitens habe ich mich bei meinem ersten Vorstellungsgespräch unfassbar dämlich benommen.
    Für Rechtswissenschaften hatte ich mich nach dem Abitur eingeschrieben, weil ich Diplomat werden wollte. Als ich mich dann zum Ersten juristischen Staatsexamen am Oberlandesgericht in Köln anmeldete, wollte ich alles, bloß das nicht mehr.
    Am Abend nach bestandenem Examen sagte mir mein pädagogisch versierter Vater: »Ab heute bekommst du kein Geld mehr von mir.« Er glaubte vermutlich, ich würde mich dann sofort um

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