Neugier und Übermut (German Edition)
dem Régis Debray in Camiri im Gefängnis saß, und sie pfiffen dem gefangenen Revolutionär dort als Ständchen die »Internationale«. Doch noch bevor der Prozess begann, musste Menne wieder abreisen, weil sein gefälschter Presseausweis aufflog.
Über seine Erfahrung in Bolivien schrieb er einen Bericht, der in Konkret gedruckt wurde. Dadurch lernte Menne die Konkret -Chefredakteurin Ulrike Meinhof kennen, wurde auf ihren Vorschlag hin bei dem linken Magazin Redakteur und fand schließlich den Weg zum S. Fischer Verlag, wo er sich bald weniger für linke als für französische Literatur interessierte. Und als kurz darauf eines der von ihm verlegten Bücher ein Bestseller wurde, hatte er seine Lebensaufgabe gefunden. Ein gutes Jahrzehnt später würde er als erfolgreicher Leiter des Hoffmann und Campe Verlags viele meiner Bücher verlegen.
Als es bei dem Abendessen in Frankfurt nun um meine Idee eines Filmes über Herbert Marcuse ging, sprang Lothar Menne Walter Boehlich bei, um den alten Philosophen davon zu überzeugen, dass ich ein ordentlicher Mensch und die Idee, einen Film über ihn zu drehen, hervorragend sei.
Schließlich sagte Herbert Marcuse zu mir: »Können Sie mir nicht ein Drehbuch schreiben, damit ich weiß, worauf ich mich einlasse?«
»Nein«, antwortete ich, »bei Dokumentationen kann man vorher kein Drehbuch schreiben. Man dreht, was geschieht. Aber ich schreibe Ihnen ein Drehbuch, wenn Sie mir dann aufschreiben, wie der ›neue Mensch‹, von dem Sie sprechen, aussehen wird.«
»Das mache ich!«, sagte Marcuse, der stets betont hatte, man könne den »neuen Menschen« nicht beschreiben, da er sich in der »Neuen Gesellschaft« von selbst entwickeln würde.
Dann stimmte er dem Dreh zu. Er stellte nur eine Bedingung: Ich müsse eine Flasche Johnny Walker Black Label mitbringen.
Ich war glücklich.
Alle schienen glücklich. Und wir verabredeten, dass ich ihn im September, sobald er wieder in La Jolla sei, besuchen sollte. Dort wollte er mir vortragen, welche Pläne er im Herbst hätte, und wir könnten die Dreharbeiten besprechen.
Ich fuhr im Hochgefühl nach Hause.
Jetzt galt es, das wahre Problem zu lösen: die Produktionsnummer.
Es schien mir, da war ich ganz naiv, ein nebensächliches Problem.
Mein Lebensmotto heißt immer noch: Wo ein Wille, ist auch ein Weg.
Deshalb haben mir bürokratische Hürden nie wirklich Sorge gemacht. Sie sind da, um überwunden zu werden. Und wieder einmal hatte ich Glück. Im WDR wurden Redaktionen umstrukturiert, und ich wurde von Claus-Hinrich Casdorff, der sicher froh war, mich bei Monitor loszuwerden, in die Auslandsabteilung versetzt. Ich sollte ab Ende August für eine kurze Zeit als Korrespondent an das Studio Washington, dann an das Studio New York wechseln, mit der Aussicht, schließlich nach Paris zu gehen.
Im September 1977 landete ich in Washington. Die erste Dienstreise, die ich eine Woche später unternahm, war ein Flug nach Los Angeles, von dort nach San Diego. Ich war an einem Samstag früh um 10 Uhr mit Herbert Marcuse verabredet. Er selber öffnete mir die Tür zu seinem Bungalow. Und wie versprochen stellte ich ihm eine Einliter-Flasche Johnny Walker Black Label auf den Tisch. Das schuf gute Laune.
Seine Frau Ricky saß manchmal bei uns, manchmal ging sie zum Telefon ans andere Ende des langen Zimmers und sprach eine Stunde lang.
Im Oktober würde Marcuse für einige Tage an die Ostküste fahren und dort an einer kleinen Universität Vorträge halten, Gruppengespräche führen und Seminare veranstalten. Da könnten wir ihn zusammen mit Studenten drehen. Welche Universität es sei, fragte ich. Ach, die werden Sie nicht kennen, antwortete Marcuse, Wesleyan heißt die. Die kenne ich gut, erklärte ich ihm. Dort hatte ich ja ein Jahr lang mit einem Fulbright- Stipendium studiert.
Die Dreharbeiten mit ausführlichen Interviews zu seinem Werk verabredeten wir für Dezember in La Jolla. Dann würde es in Kalifornien angenehm warm sein. Auch an das Wetter sollte man bei Dreharbeiten immer denken.
Am Abend öffnete Marcuse die Flasche Johnny Walker, die ich mitgebracht hatte und sagte: »Machen wir einen kleinen Spaziergang mit meinem Freund Hänschen.« Wir tranken auf unser Projekt. Und dann schlug er vor, wir sollten jetzt gemeinsam essen gehen. Er kannte ein gutes chinesisches Lokal, aber Ricky wollte lieber zu einem Mexikaner. Und sie setzte sich durch.
Ich flog zurück nach Washington, verkündete dem Kamerateam die Termine
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