Neugier und Übermut (German Edition)
Dunstkreis von Rudi Dutschkes »Subversiver Aktion«, und sie beschlossen, eine neue Gruppe zu gründen, die sie »Viva Maria« nannten, nach dem herrlichen Western von Louis Malle. Die Marias wurden dargestellt von Brigitte Bardot, als Bomben werfende Anarchistin, und Jeanne Moreau, die immer alles genau planen und organisieren wollte. Sie repräsentierte für die Jungrevoluzzer den Leninismus. Die Mischung aus Anarchismus und Leninismus schien ihnen der richtige Weg für »Viva Maria«.
Im Sommer 1966 kam es zu einem folgenschweren Treffen in dem großzügigen Ferienanwesen, das Mennes Eltern am Kochelsee besaßen. Rudi Dutschke erschien drei Tage zu spät. Dieter Kunzelmann war schon da ebenso wie Bernd Rabehl, damals ein führender Kopf des Berliner SDS, der heute im rechtsradikalen Umfeld der NPD zu finden ist. Tagelang wurde darüber diskutiert, wie man bürgerliches Privatleben und revolutionäre Politik in Einklang bringen könnte – schließlich kam die bunte Schar zu der damals radikalen Erkenntnis: Alle sollten zusammenziehen. Die besten Leute des SDS sollten in Berlin eine Kommune gründen. In dieser Stunde wurde die Idee gezeugt, aus der die Kommune Eins in Berlin hervorgehen sollte.
Lothar Menne grauste es jedoch vor Gruppenzwang. Er erklärte kurzerhand, sein Weg führe nach Lateinamerika, womit er sich schon länger beschäftigt habe, um dort als Guerillero mit der Waffe in der Hand zu kämpfen. Dagegen konnten auch die Kommunarden nichts einwenden.
Also ging Lothar Menne zu seiner Mutter und erklärte ihr, er wolle ein Jahr in den USA studieren. Sie glaubte ihm und finanzierte seine Reise. In New York, trieb er sich beim amerikanischen SDS rum, wurde an einige Colleges vermittelt, wo er etwas über Marxismus und Psychoanalyse erzählen sollte, fuhr mit dem Greyhound-Bus immer weiter westwärts, weil er ja über Mexiko zu den lateinamerikanischen Guerilleros stoßen wollte. Schließlich landete er auch in La Jolla, weil er einige Assistenten von Herbert Marcuse kannte. Die nahmen ihn abends mit ins Haus des Philosophen, wo Marcuse jeden Abend ab fünf Uhr seinen Johnny Walker zu sich nahm und wo Studenten, Freunde und Besucher ein- und ausgingen.
Der Professor interessierte sich für den jungen Mann aus Deutschland und fragte ihn aus. Als ihm Lothar Menne von »Viva Maria« und der Kommune erzählte, lachte Marcuse und sagte, er habe auch eine Art Kommune, aber deren Mitglieder gingen zum Schlafen doch Gott sei Dank wieder nach Hause. Menne gab zu, dass er in Wirklichkeit vor dem Horror der Kommune fliehe. Die Ausrede mit den Guerilleros fand Marcuse unsinnig und empfahl ihm, nach Frankfurt zu seinem »Freund Teddy« (Adorno) zu gehen und etwas Vernünftiges zu lernen.
Aber Lothar Menne hatte sich nun einmal den Freiheitskampf in Guatemala als Vorwand in den Kopf gesetzt. Über Mexiko wurde er von einem Vertrauensmann zum anderen weitergereicht, bis er am Rande von Guatemala-Stadt eine Reihe von Verhören über sich ergehen lassen musste und tatsächlich Kontakt zu den Guerilleros bekam. Aber ihm war schon mulmig geworden, als er das erste Mal eine richtige Waffe von nahem gesehen hatte. Glücklicherweise erklärten ihm die Guerilleros, einen Europäer könnten sie nicht durch den Dschungel schleppen, er solle lieber zurück nach Deutschland gehen und Geld für Waffen sammeln.
Erleichtert machte sich Menne auf den Rückweg, schrieb sich in Frankfurt ein und traf dort auf Angela Davis, Tochter aus einer gut situierten schwarzen Familie aus Birmingham, Alabama, die in den siebziger Jahren zu einer weltweiten Symbolfigur für den Kampf um Bürgerrechte werden sollte.
Angela Davis hatte bei Herbert Marcuse studiert und war auf seine Empfehlung hin mit einem Stipendium zu Adorno gegangen.
Ein Jahr später fuhren Angela und Lothar nach London, um am Kongress »Dialektik der Befreiung« teilzunehmen, auf dem neben Herbert Marcuse auch der »Black Power«-Star Stokely Carmichael auftrat. Nun litt Menne, wenn Angela Davis nachts plötzlich nicht mehr nach Hause kam. Und da sie ohnehin vorhatte, in die USA zurückzukehren, nahm er ein Angebot an, das ihm die Flucht aus seiner Eifersucht erlaubte.
Die Bertrand Russel Peace Foundation wollte Beobachter zum Prozess von Régis Debray, Che Guevaras französischem Kampfgefährten, nach Bolivien schicken, und da bot man ihm an, als Vertreter des SDS die Beobachtergruppe zu verstärken. Die fünf Abgesandten schafften es immerhin bis unter das Fenster, hinter
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