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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Eindruck. Es geht mehr unter die Haut, als wenn sich jemand die Geschichte in einem Zimmer in Hollywood ausgedacht hat. Eine wahre Geschichte berührt uns, sie kommt von der Leinwand direkt ins Leben.«
    Meryl Streep fragte, ob ich noch einen Kaffee trinken möchte. Ja gerne. Sie bat auch um eine Tasse und wartete gar nicht auf eine nächste Frage.
    »Ich war über die ausgezeichneten Kritiken überrascht. Ich hatte gar nicht gedacht, dass der Film so viel Anklang finden würde. Und ich bin stolz, dass er so populär geworden ist.«
    »Hatten Sie mit weniger Anklang gerechnet?«, fragte ich.
    »In Amerika ist häufig alles verdächtig, was einen politischen Bezug auf unser Leben hat. Sehr oft werden solche Filme vom amerikanischen Publikum verdammt. Die Leute möchten nicht an die wirkliche Welt erinnert werden. Aber meines Erachtens geht es dabei auch um die Darstellung des täglichen Lebens. Und die Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Fragen, wie man sich durchs Leben schlägt, findet beim Publikum auch ein gewisses Interesse. Aber die Amerikaner mögen am liebsten lustige Filme.«
    »Der Film ›Karen Silkwood‹ dagegen ist traurig.«
    »Sehr traurig, hat aber auch eine Menge Humor.«
    Meryl Streep hatte sich auf die Rolle von Karen Silkwood genau vorbereitet, eine Menge Zeugenaussagen von Leuten studiert, die sie kannte, und von deren Kollegen. Sie hatte mit Silkwoods Vater, auch mit ihrem Freund gesprochen, und alles gelesen, was über sie geschrieben worden war.
    Auf dem Tisch, an dem wir in der Agentur saßen, hatte jemand – sicherlich mit Hintergedanken – einen Fotoband von Annie Leibovitz gelegt, auf dessen Umschlag Meryl Streep mit einer weißen Gesichtsmaske aufgenommen worden war. Ein berühmtes Foto. Mit spitzen, gespreizten Fingern, die Handflächen nach vorn gedreht, zieht sie ihr Gesicht am linken Auge und der Backe hinten rechts wie eine Maske auseinander.
    Ich nahm das Buch, schaute auf das Bild von Meryl Streep, das ich gut kannte, denn das gleiche lag bei mir zu Hause, und fragte sie, wie es zu dieser Aufnahme gekommen sei.
    »Den ganzen Nachmittag ließ Annie mich Marcel Marceau sein. Ich war sehr müde und wollte nur nach Hause gehen und essen. Ich machte also diese Geste, so als nähme ich die weiße Maske ab und sagte: So, das wär’s, Annie! Es ist fünf Uhr, sorry, ich gehe! Und sie sagte: warte einen Augenblick – das ist es, das ist es! So entstand also das ›berühmte‹ Foto.«
    »Warum sollten Sie Marcel Marceau darstellen?«
    »Ich weiß nicht. Ich war da in ausgebeulten Hosen. Wahrscheinlich wollte sie meinen Zwiespalt zeigen. Im Theater bin ich ein Clown gewesen. Ich war eine Komödienschauspielerin. In Filmen bin ich sehr, sehr ernsthaft. Ich glaube, das wollte sie darstellen.«
    Wir verfielen in eine Plauderei. Sie erzählte, weshalb sie nie nach Hollywood ziehen wollte. Erstens stamme sie aus New Jersey, das sei »zehn Minuten von hier«. Und sie drehe lieber an Originalschauplätzen. Leider schwärme ihr Mann von Kalifornien. Also könne es schon sein, dass sie dort einmal einen Film drehe. Aber dort leben? Nein.
    »Ich mag die Winter«, sagte sie, »und in New York gibt es wenigstens Leute, die außerhalb des Show Business arbeiten. In Los Angeles dreht sich jedes Gespräch, jeder Gedanke um Film.«
    Das Baby rief seiner Mutter durch lautes Gebrüll zu, dass jetzt aber Schluss sei. Meryl Streep sprang auf, streckte mir die Hand hin und rief mir lachend zu: »So, das wär’s Annie. Es ist fünf Uhr, sorry, ich gehe!«

    Neugier kann sich verschieden ausdrücken. Sind die beiden nun verlobt oder haben sie sich getrennt? Diese Frage wird täglich in der Boulevardpresse beantwortet. Neugier dient dabei nur dazu, auf dem neuesten Stand des Tratsch-Geflüsters zu sein. Tratsch aber interessiert mich wenig.
    Immanuel Kant dagegen sprach seinerzeit von der Neuigkeitsbegierde, einem »gewissen richtigen Geschmack in der Naturwissenschaft, welcher bald die freie Ausschweifung einer Neuigkeitsbegierde von den sichern und behutsamen Urteilen zu unterscheiden weiß«. Damit meint er die mehr oder weniger gezielte Suche des Wissenschaftlers nach bisher unbekannten Antworten. Mich aber treibt auch die Neugier des Wissenschaftlers nicht an.
    Für mich besteht Neugier aus mehreren Elementen. Offen sein für Neues. Mit einer gewissen Naivität, vielleicht sogar mit einem kindlichen Staunen, mir bisher Unbekanntes wahrzunehmen. Ich kann Neugier allerdings nicht ohne Folgen für mich

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